Der Mensch als von Natur aus kooperatives und politisches Lebewesen

Implikationen eines Dialogs zwischen Aristoteles und Michael Tomasello für eine interdisziplinäre Erforschung menschlicher Kognition.

Autor: Benjamin Reimann

D I S S E R T A T I O N

Zitierfähige Url:https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-720593

SEITE: 33f ad.valsan 1 Kommentar
Stelle:

Tomasello hingegen hält die Verwendung des
kooperativen Vokabulars [durch Boesch] für übereilt und nicht angemessen. Nach ihm gleicht die Jagd der Affen derer von Löwen oder Wölfen, bei denen man sich ebenfalls nicht einer solchen Beschreibung bedient. (S 33 oben)

[…]

Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit noch auf ein Detail meiner Darstellung
des Streits lenken: Es geht mir dabei um die unterschiedliche Bewertung hinsichtlich des
Status der Wissenschaftlichkeit von quantitativen gegenüber qualitativen Zugängen zum
Forschungsfeld. Tomasello arbeitet ohne Frage vor allem quantitativ und trifft nun auf die
Kritik Boeschs, der diese auf qualitative Beobachtungen gründet. Er widerspricht ihm
unter anderem mit dem Argument, dass bisher viel zu wenige Beobachtungen gemacht
wurden, in denen scheinbar kooperatives Verhalten protokolliert wurde und dass viele
quantitative Studien gegen eine Beschreibung des Verhaltens von Schimpansen in
Begriffen echter Kooperation sprechen. (S. 34 unten)

Anmerkung:

Meines Erachtens differenziert R hier zu wenig, wie sich T diesbezüglich verhält, kann ich nicht klären, da mir die Originaltexte fehlen.

Es gilt hier zu unterscheiden zwischen

  1. der Art des (Beschreibungs)Vokabulars,
  2. der qualitativen oder quantitativen Datenerhebung bzw. -auswertung
  3. dem Kontrollgrad der Versuchanordnung bei der Erhebung (reine Beobachtung / Realsimulation / Experiment)

Hier wünschte ich mir von R, aber auch von T, mehr Klärung:

ad 1) zumindest in Ts ‚Mensch werden‘ beschreibt er seine Versuche mittels eines ‚kooperativen Vokabulars‘, ob auch in den Originalpublikationen ist unklar.

ad 2) die Charakterisierung von Boeschs Forschung als bloss qualitativ bzw. von Ts Arbeiten als quantitativ erscheint mir unangebracht! Diese Termini werden von R (und vielen anderen ForscherInnen) mit 3 vermengt. Aus  M.Wunschs Artikel (vgl Rs Fussnote 68)  geht hervor, dass Boesch seine Daten auch quantitav ausgewertet hat.

ad 3) Reine Beobachtung ist dadurch charakterisiert, dass die Datenerhebung unter minimal invasiven Bedingungen bzgl. des interessierenden Phänomens erfolgen soll, bei Experimenten soll das interessierende Phänomen unter maximal kontrollierten Bedingungen vermessen werden. Realsimulation verfolgen hier – je nach Fragestellung – eine partielle Kontrolle und somit eine partiell invasive Datenerhebung.

Hier geht es nicht nur um eine Spitzfindigkeit bzw. begriffliche Pingeligkeit eines gewissen AV, sondern um die unterschiedliche Aussagekraft dieser verschiedenen Methoden, insbesondere bzgl biologischer (und sozialer) Phänomene. Dieser Punkt klingt in gewissen Kriken gegenüber Ts Methoden auch leise an:

Ts Daten resultieren aus – mehr oder weniger – ‚künstlichen‘ Versuchsanordnungen. Daraus folgt, dass seine Resultate (lediglich) demonstrieren, wie Menschenaffen bzw. Menschenkinder sich unter künstlichen Bedingungen verhalten. Wie aber würden sie sich unter natürlichen oder zumindest naturnäheren Bedingngen verhalten. Boeschs Arbeiten versprechen, genau hierauf eine Antwort zu geben.

 

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Moritz T.

R wendet hier in der Tat sehr viel Energie darauf, die Begriffe „qualitativ“ und „quantitativ“ im Kontext zu erläutern, ohne sie genau zu definieren, etwas schwammiges Ergebnis. Die Gefahr besteht aber zweifellos, eine einzelne, „qualitative“ Beobachtung (Boeschs Beschreibung der gemeinsamen Jagd von Menschenaffen) über zu bewerten, und sie aus menschlicher Perspektive zu interpretieren. Morgans Regel scheint befolgenswert:
„In no case may we interpret an action as the outcome of the exercise of a higher mental faculty, if it can be interpreted as the exercise of one which stands lower in the psychological scale.“(p. 35)

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