Buch im Fokus #50

22.11.2025
Leo Strauss, ein in Europa etwas in Vergessenheit geratener Philosoph des 20. Jahrhunderts, der Texte von Dichtern und Denkern aus der Antike intensiv befragt nach dem Verhältnis von Religion, Philosophie und Politik, erfährt unter zeitgenössischen US-amerikanischen Intellektuellen aus dem Trump-Lager eine erstaunliche Konjunktur. Heinrich Meier widmet nun dem Denken von Strauss eine umfassende Studie, die wir als «Buch im Fokus» vorstellen.

Zitat & Kommentar #26 befasst sich mit einer Interview-Aussage von Silicon Valley-Investor Peter Thiel, der von Leo Strauss stark beeinflusst ist. Es geht darum, ob die Menschheit überleben soll. Thiels Antwort ist ein langes Zögern, das wir kommentieren.
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Partner-Buchhandlung Bider & Tanner, Basel

Leo Strauss

Autor: Heinrich Meier
Untertitel: Zur Sache der Politischen Philosophie
Verlag: C.H. Beck
Genre: Sachbuch
Erscheinungsjahr: 2025
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-406-83604-6
Einbandart: Hardcover
Seitenzahl: 607
Sprache: Deutsch
Besprechung Moritz Th.

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Besprechung

Leo Strauss war ein deutscher Philosoph, der unter anderem bei Cassirer, Heidegger und Husserl studiert hatte. 1937 emigrierte er in die USA und war dann von 1949 bis 1969 Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Chicago. Strauss geniesst in den USA bei konservativ-libertären Vordenkern des Silicon Valleys und Anhängern von Donald Trump hohes Ansehen.
Heinrich Meier widmet der Arbeit von Leo Strauss eine ausführliche Studie. Dessen Denken entfaltet sich in close readings von Texten vornehmlich aus der Antike. Meier unterzieht seinerseits die Publikationen von Strauss einer intensiven, textnahen Lektüre. Wir lesen also, wie Heinrich Meier die Ausführungen von Leo Strauss referiert, der Texte von Aristophanes, Lukrez oder Platon kommentiert.
Daraus resultiert ein für den Laien überaus anspruchsvolles Programm, zumal Meier, darin durchaus verwandt mit Strauss, nur bedingt didaktische Hilfestellungen bereithält, und das Denken Strauss’ kaum in einen grösseren Rahmen einordnet.
Allerdings ist das auch eine schwierige Aufgabe: Leo Strauss hatte zwar durchaus die Ambition, eine eigene Schule zu gründen. Aber er war auch ein Philosoph, der eher problem- als lösungsorientiert vorging. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, das Spannungsfeld zwischen Philosophie und (Offenbarungs-)Religion, das Mitte des 20. Jahrhunderts zusammengebrochen war, neu aufzubauen. Hinter dem bezeichnend unscheinbaren Untertitel von Meiers Buch «Zur Sache der politischen Philosophie» verbergen sich existenzielle, fundamentale Fragen.
Paraphrase eines Kernarguments von Strauss: Philosophie im Zeitalter der Polis muss eine politische sein, sie muss die Organisation des Zusammenlebens zu ihrem Thema machen. Zentrales Problem des Zusammenlebens ist die Gerechtigkeit. Von Menschen festgelegte Gesetze können aber keine umfassende, dauerhafte Gerechtigkeit garantieren, sie sind blosse Konvention. Wenn – wie in der Demokratie – eine Mehrheit etwas beschliesst, widerfährt der Minderheit potentiell Ungerechtigkeit. Wenn – wie im Kommunismus – Ungleichheiten zwischen den Menschen eliminiert werden, wird man der menschlichen Natur nicht gerecht. Folglich brauchen die Menschen eine übergeordnete Instanz, wie sie der Gott der Offenbarungsreligionen darstellt. Die Politik kann sich dann an den göttlichen Gesetzen orientieren, die am besten von «weisen Männern» interpretiert werden.
Wie aber soll sich die Philosophie angesichts dieser Gemengelage positionieren? Die Philosophie befragt die Natur auf grundsätzliche Weise, sie akzeptiert keine vorgefertigten Antworten. Sie ist von ihrem Wesen her atheistisch. Philosophie und Religion können sich von daher nur antagonistisch begegnen. Für Strauss ist aber essentiell, dass dieser Antagonismus ausgetragen wird, den Spinoza quasi eigenhändig für beendet erklärt hatte. Der Philosoph Strauss weist der Philosophie eine defensive Position zu. Sie muss die Möglichkeit der Offenbarung widerlegen können. Gelingt ihr das nicht, steht sie auf verlorenem Posten. Woher Strauss diese schwierige Position der Philosophie ableitet, wird mindestens diesem Leser nicht ganz klar. Man kann argumentieren, wie Strauss das tut, dass die Menschen eine höhere Instanz benötigen. Aber folgt aus diesem Bedürfnis schon der Auftrag an die Philosophie, sich mit der Offenbarungsreligion zu beschäftigen, ja sie widerlegen zu müssen?
Strauss setzt sich mit den verschiedensten antiken Autoren und einer erstaunlichen Bandbreite von Textsorten auseinander. Sehr anregend ist die Erörterung der "Geschichte des Peloponnesischen Krieges" von Thukydides, der mit der Betonung auf die Wichtigkeit der Aussenpolitik, die aus der kriegerischen Natur des Menschen folgt, gegen den abstrakten idealen Staat Platons in Anschlag gebracht wird. Ebenfalls spannend ist die Interpretation von Aristophanes’ Komödie " Die Wolken", mit der Strauss die Aporien der sokratischen Philosophie offenlegt. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass Strauss in seinem Werk Sokrates, dem gottlosen Verderber der Jugend, nochmals den (umsichtigen) Prozess macht, als Wegbereiter der Dekadenz, des Rationalismus’, und dann, in die Neuzeit übertragen, der Aufklärung, des Liberalismus’ und des Sozialismus’. Das ist nicht sonderlich originell, sondern weitestgehend von Nietzsche übernommen.

Was fasziniert nun Intellektuelle aus dem Umfeld von Donald Trump an diesem skrupulösen Interpreten antiker Schriften? Leo Strauss lässt ein tiefsitzendes Unbehagen gegen den modernen Staat und die westlichen Demokratien mit ihrem immer weiter wuchernden Dickicht von Gesetzen erkennen, das dem Individuum die Freiheit nimmt und dennoch nie die angestrebte Gerechtigkeit erreichen kann. Dieser libertäre Grundzug scheint beispielsweise Peter Thiel anzusprechen. Dazu kommt eine Affinität im religiösen Bereich, die Berufung auf die Bibel und ein Hang zum Fundamentalismus. Im Vergleich zu seinen zeitgenössischen Adepten, die sich gern mit Provokationen hervortun, bleibt Strauss jedoch ein subtiler, nicht leicht zu erschliessender Denker der Ambivalenz, den uns hier Heinrich Meier auf kongeniale Weise näher zu bringen versucht.

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Zitat & Kommentar #26

22.11.2025

Ross Douthat : Peter Thiel and the Antichrist

Kommentar Moritz Th.

Peter Thiel and the Antichrist_Interesting Times_Podcast_38’20“

https://www.youtube.com/watch?v=vV7YgnPUxcU

«Interesting Times», Podcast by Ross Douthat

38’ 20’’
*
Ross Douthat: You would prefer the human race to endure. Right?
*
Peter Thiel: Ah…
*
RD: You’re hesitating.

PT: Well, I would, I would…

RD: This is a long hesitation!

PT: There is so many questions…

RD: (interrupting): Should the human race survive?

PT: Yes. But…

(Deutsche Übersetzung:)

Ross Douthat: Sie würden es vorziehen, dass die Menschheit weiterbesteht. Richtig?

PeterThiel: Ah…

RD: Sie zögern.

PT: Nun, ich würde, ich würde…

RD: Das ist ein langes Zögern!

PT: Da gibt es so viele Fragen…

RD (unterbricht): Sollte die Menschheit überleben?

PT: Ja. Aber…

Kommentar

Peter Thiel ist Tech-Investor, Milliardär und einer der Vordenker des Silicon Valley, der Donald Trump bereits in der Präsidentschaftswahl 2016 unterstützt hatte. Damals war er ein Aussenseiter im zwar libertär-staatskritischen, aber den Demokraten zuneigenden Milieu der Gründer von Google, Facebook & Co. Heute scheinen manche seiner Positionen im Silicon Valley mehrheitsfähig, und man kann nur spekulieren, inwieweit er die US-Regierung beeinflusst – der US-Vizepräsident und Neo-Katholik J.D. Vance ist früh und massiv von Thiel gefördert worden.
Thiel redet zu Beginn des Interviews viel von Stagnation in den letzten 50 Jahren. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, aber tatsächlich haben sich einige hoffnungsvolle Projektionen aus dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts nicht erfüllt, trotz Internet und Smartphone. Thiel zitiert den langsamen Fortschritt in der Demenzforschung als Beispiel.
Im Lauf des Interviews zeigt sich aber, dass Thiel eigentlich von einer viel grundlegenderen, existenziellen Stagnation redet, die es zu beenden gilt: Die Überwindung der Sterblichkeit, die Verwandlung des Menschen in etwas Transhumanes.
Dies erklärt das lange Zögern Thiels in der zitierten Interviewpassage, auf die scheinbar leicht zu beantwortende Frage, ob er möchte, dass die Menschheit überdauern soll. Als er sich endlich zu einem Ja durchringt, folgt ein gewichtiges Aber: Überleben ja, aber wir sollten uns radikal verändern. Es mag nun überraschen, dass damit nicht nur eine durch das Silicon Valley induzierte technologische Transformation gemeint ist, sondern dass es Thiel auch um eine Verwandlung im biblischen Sinne geht. Thiel hat das Ende der Zeiten im Blick, er sieht den Anti-Christen heraufziehen, in Form des Weltstaats. Erste Vorboten sind die UNO und die WHO – und Greta Thunberg, die Thiel mehrfach nennt.
Was dagegen hilft? Disruption, Überwindung der Stagnation, Ausfechten des End-Kampfes zwischen Gut (die technischen Innovatoren des Silicon Valley und die rechtgläubigen Christen) und Böse (die woke staatsversessene Linke). Dieses Denken in Endzeit-Kategorien scheint auf Leute wie Thiel beträchtliche Anziehungskraft auszuüben, das Ende der Weltzeit fällt dann zusammen mit dem Ende der persönlichen Lebenszeit.

Wenn man nach Thiels anti-liberalen, fundamentalistischen Wurzeln fragt, stösst man auf den für ihn wichtigen deutsch-amerikanischen Philosophen Leo Strauss (1899 – 1973), der die Notwendigkeit einer übergeordneten, sprich göttlichen Instanz diskutierte, die allein für die wahre Gerechtigkeit sorgen kann.
Peter Thiel erscheint in diesem Interview als – einflussreicher – Apokalyptiker, der den von ihm geförderten technologischen Fortschritt in den Dienst einer christlich-fundamentalistischen Weltsicht stellt.

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