Buch im Fokus #30

28.02.2025
Ein überaus ambitionierter und umfangreicher Roman, der mit (Sprach-)Witz und Ernst grosse Themen der Zeit verhandelt, Klimawandel und Corona-Epidemie inklusive gesellschafts-politischem Niederschlag. Frank Schulz, Kultautor der links-alternativen Szene, schildert in «Amor gegen Goliath» aber zugleich detailliert eine «mittelgradige» Depression und eine am Ende etwas sentimentale Liebesgeschichte. Erfahren Sie mehr dazu in «Buch im Fokus».
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Amor gegen Goliath

Autor: Frank Schulz
Verlag: Galiani
Genre: Belletristik
Erscheinungsjahr: 2024
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-86971-237-6
Einbandart: gebunden
Seitenzahl: 752
Sprache: Deutsch
Besprechung Moritz T.

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Besprechung

Hauptfiguren des Romans sind zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, auch wenn sie verwandten Milieus angehören: Kottenpeter, verkrachter, depressiver Musiker hier und «Philphil» Büttner da, ein Bruder Leichtfuss mit grossem erotischem Kapital, zwar grad arbeitslos als Journalist, aber verlobt mit einer jüngeren Partnerin aus wohlhabendem Haus.
Kottenpeters Partnerin Cathi ist engagiert in der Klimabewegung. Die Diskussionen um den Klimawandel nehmen viel Raum ein auf den 752 Seiten. Mit grosser Sorgfalt zeichnet der Autor die Muster der Debatten nach, inklusive der Widersprüche, die sich bei den Klima-Bewegten auftun. Er eröffnet bemerkenswerte Einblicke in die Funktionsweisen einer Community, oder, negativ formuliert, einer Blase.
Die Handlung spielt teilweise während der Corona-Epidemie und des Lockdowns. Dem heftigen gesellschaftspolitischen Niederschlag dieser Monate widmet sich Schulz mit viel Verve. Seitenlang dokumentiert er das Geschwurbel von Querdenkern und die Vorträge von Trittbrettfahrern der Hysterie. Hier wird die Geduld des Lesers, der sich zeitweise in einem Polit- oder Soziologie-Seminar wähnt, arg strapaziert, auch wenn es bemerkenswert ist, wie genau die Denkbewegungen und Ressentiments «der neuen Rechten» nachgezeichnet werden, die in ihrem Anti-Establishment-Furor durchaus Erbstücke der alten 1968er-Linken übernommen haben.
Die Empathie-Fähigkeit und der Recherche-Fleiss des Autors bescheren uns dann aber auch das Glanzstück dieses Romans: Die Schilderung der Depression Kottenpeters mit vielen stimmigen Details ist brillant. Wir folgen gebannt den inneren Monologen Kottenpeters, der sich eine Affäre Cathis einbildet und mit viel Aufwand seinen Zustand auch vor ihr zu kaschieren sucht. Das führt in eine Negativ-Spirale, an deren Ende den Musiker eine totale «Misophonie» plagt, er erträgt nicht mal mehr die Stimme seiner «Traumfrau». Die allgemeine Weltlage, dem Klimawandel zugeschriebene Unwetterkatastrophen und düstere Prognosen tragen nicht zur Aufhellung der Stimmung bei. Nur mit Anti-Depressiva kann Kottenpeter den Alltag einigermassen bewältigen.
Auf der anderen Seite blüht Büttner in der Pandemie so richtig auf, er richtet sich gern in der schönen Wohnung seiner Verlobten Franzi ein, geniesst den Sex mit ihr, betrügt sie aber dennoch mit ihrer besten Freundin und arbeitet auf das Wunschszenario einer «Triole» hin, Sex zu dritt.
Die beiden Hauptfiguren wissen nichts von einander, bis sie sich samt Entourage im Urlaub auf Südkreta begegnen, sich dann aber kaum für einander interessieren. Sie nehmen sich bestenfalls als Rivalen um Cathis Gunst wahr, in die sich der leicht entflammbare Büttner verliebt. Die Jonglage mit drei Bällen – die Verlobte Franzi, deren Freundin Jette und neu Cathi – überfordert allerdings den erotischen Artisten, schliesslich steht er mit leeren Händen da (wenn auch nicht für lange). Mehr Glück, oder überhaupt endlich wieder mal so etwas wie Glück, bringt der Urlaub Kottenpeter, der sich von seiner Depression erholt. Diese Schlussszenen rührt der Autor ungeniert mit der Kitschkelle an. Schon zuvor neigt er dazu, Plot-Linien und Motive überdeutlich auszuziehen.
Zwei Aussenseiter-Figuren des Romans kommen gegen Ende ausführlich zu Wort: Was soll denn nun in der allgemeinen Malaise helfen? Der Weltuntergang durch den Klimawandel steht bevor, in der eigenen Blase brodeln die Widersprüche und die Linke hat die Diskurshoheit verloren. Zwar arbeitet auch hier Schulz – ganz in der Tradition der Neuen Frankfurter Schule und insbesondere Eckhard Henscheids stehend – mit Humor und Sprachwitz, aber es ist nicht zu übersehen, mit welch grossem Ernst und Anspruch er die Probleme analysiert, und den – geneigten – Leser*innen bedenkenswerte, mal rationalistisch, mal esoterisch-dialektisch gefärbte Rezepte mit auf den Weg gibt.
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Zitat & Kommentar

#18 01.02.2025
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Tanizaki Jun'ichiro : Lob des Schattens

Kommentar Moritz T.
ISBN: 978-3-7175-4082-3

Lob des Schattens_p.23

Im Allgemeinen werden wir von Unruhe erfasst, wenn wir hell glänzende Dinge sehen.

Kommentar

Der Satz stammt aus dem Essay «Lob des Schattens», den Tanizaki Jun’ichiro im japanischen Original 1933 publizierte. Der Essay ist ein Manifest des Widerstands gegen die Vereinnahmung Japans durch die westliche Ästhetik. «Hell glänzend» ist im Westen tendenziell positiv besetzt, wir assoziieren damit neu, sauber, anziehend. Dagegen preist der japanische Autor das Zwielicht, das Abgedunkelte.

Bald 100 Jahre später kann man auf den ersten Blick der Meinung sein, dass sich der Westen durchgesetzt hat; man muss nur einmal durch Toykos Ginza-Distrikt spazieren, wo alles blinkt und gleisst. Wenn man dann aber eine kleine Sushibar betritt, kann einen eine wohltuend gedämpfte Atmosphäre empfangen, wo immer noch die alten japanischen Grundsätze zu gelten scheinen, die der Autor wie folgt formuliert:

«Wir sind der Meinung, Schönheit sei nicht in den Objekten selbst zu suchen, sondern im Helldunkel, im Schattenspiel, das sich zwischen den Objekten entfaltet.» (p. 58).

Der Fokus der traditionellen japanischen Ästhetik, der der Autor das Wort redet, gilt nicht einem Objekt, sondern dem Licht in all seinen Schattierungen, die rund um Objekte entstehen. Das matte, abgedunkelte, undeutliche beruhigt und regt zugleich die Sinne, die Phantasie an. Eine Kalligraphie beispielsweise kommt am besten in einem Zimmer im Hintergrund zur Geltung, eine Vase in einer nicht ausgeleuchteten Nische. Man könnte vielleicht sagen, dass das Schattenspiel erst die Dinge in ein schönes Gesamtes integriert.

Japan hat die westliche Ästhetik übernommen und die eigene bewahrt; es ist diese Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Welten, die zur Faszination Japans beiträgt.

 

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