Das Denken ist beim Malen das Malen
Autor:
Armin Zweite
Untertitel: Gerhard Richter – Leben und Werk
Verlag: Schirmer/Mosel
Genre: Sachbuch
Erscheinungsjahr: 2019
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-8296-0758-2
Einbandart: gebunden
Seitenzahl: 480
Sprache: Deutsch
Besprechung
Moritz T.
Bewertungen
Besprechung
«Gerhard Richter. Leben und Werk» heisst der Untertitel dieses umfangreichen, grossformatigen Buchs. Allerdings steht das Werk weit mehr als das Leben im Fokus. Biographisches kommt vornehmlich im Kontext der Werkentwicklung zur Sprache, und meist mit Zurückhaltung. Konsequenterweise ist das Buch mehr oder weniger chronologisch rund um die Werkgruppen organisiert.
Das erlaubt es, die Vielfalt des Schaffens von Richter über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert in den Blick zu bekommen. Sie ist atemberaubend. Welch ein Reichtum von Formen, Materialien, Farben und Nicht-Farben (Richters zeitweilige Vorliebe für Grau)! Längst hat sich Richter den Status eines singulären Künstlers erarbeitet, aber Armin Zweite zeigt auf, wie Richter jeweils aktuelle Kunstbewegungen wie Fluxus oder Pop-Art absorbiert hat. Sein Werk ist das Resultat einer hellwachen Zeitgenossenschaft, die auf verschiedenen Ebenen wirkt. Ursprünglich aus der DDR kommend, verfolgt Richter ab den 1960er Jahren genau die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der BRD, ohne darauf in seiner Kunst mit simplen Botschaften zu reagieren, selbst wenn er einmal ein politisch aufgeladenes Thema direkt inhaltlich verarbeitet, so wie im Bildzyklus «18. Oktober 1977» den Tod der RAF-Häftlinge in Stammheim. Im Vordergrund steht für Richter stets die adäquate Form, die sich erst beim Malen selbst ergeben kann. Darauf spielt das Titel-Statement «Das Denken ist beim Malen das Malen» an, das eine eng zu fassende Autonomie des Kunstgeschehens nahelegt, bei der das «Sehen» im Zentrum steht, das situativ entscheidet, in welche Richtung sich ein Kunstwerk entwickelt. Das erklärt auch Richters Faszination für den Malprozess selbst.
Natürlich klammert «Das Denken ist beim Malen das Malen» elegant aus, dass dem Malen selbst viel Reflexionsarbeit vorausgeht, aber er zeigt auf, wie Malen und Reflektieren einander implizieren. Richter ist ein ausgesprochen intellektueller Künstler, der die Kunsttradition sehr genau im Blick hat, den aber beispielsweise auch Nietzsche geprägt hat. Nihilistische und wohl zeitweise auch depressive Gedanken und Gefühle treiben Richter um, die lange Phase der grauen Bilder legen davon Zeugnis ab. Zweite holt aus diesen bei oberflächlicher Betrachtung irritierend uniformen Gemälden interessante Bedeutungsnuancen heraus. Wir lernen und sehen: Grau ist nicht einfach grau. Der Autor wertet minutiös Interviews oder Briefe von Richter aus, und zieht natürlich auch kunsthistorische Studien bei. Er findet im Allgemeinen eine überzeugende Balance zwischen Fakten und auch mal etwas spekulativer Interpretation. Einzig wünscht man sich gelegentlich, dass er sich vom gar dominanten Adorno-Jargon etwas emanzipierte.
Es ist spannend und anregend nachzulesen, wie und warum Richter seinem stets präsenten Intellekt im Kunst-Machen quasi ein Schnippchen zu schlagen versucht.
Wie: er arbeitet systematisch mit dem Zufall, etwa bei Farbkombinationen, oder er übermalt Bilder immer wieder, und lässt sich von den neu entstandenen Formen leiten. Oder er nimmt fotografische Schnappschüsse, wiederum Zufallsprodukte also, zum Ausgangspunkt für ein Gemälde. Ein eigenes Kapitel widmet Zweite der pingeligen Dokumentation von solchen Fotografien und Skizzen im grossen Buchprojekt «Atlas», das viel über Richters systematische und auch handwerklich sorgfältige Herangehensweise verrät und quasi ein Grundlagen-Archiv seiner Kunst bildet.
Warum: Richter will am Ende nicht auf der Leinwand sehen, was er sich am Anfang ausgedacht hat, er will sich selbst überraschen, in gewisser Weise sich selbst übertreffen. Zufall und Kunstinstinkt leisten mehr als der Verstand. Wie berechnend und diszipliniert Richter den Zufallselementen Raum gibt, ist ein spannendes Paradox in diesem Schaffen.
Einen guten Einstieg in das Werk Richters eröffnen die Landschaftsmalereien. Landschaft bietet dem Menschen eine Verortung, eine Heimat. Zugleich zeigen sich aber im Landschaftsbild auch Natur und Zeit, die erbarmungslos über den Menschen hinweggehen. Manche Landschaftsbilder Richters wirken so, als wäre der Mensch nicht mehr oder noch nicht da. Auch hier handelt der Maler in gewisser Weise vom Nichts, und menschliche Artefakte in den leergefegten Landschaften verstärken nur den desolaten Eindruck. Aber zugleich ermöglichen diese Landschaftsbilder dem Betrachter eine Auseinandersetzung mit dem Nichts, das er immer schon erahnt. Und diese Möglichkeit kann dann Trost spenden, um einen Ausdruck von Richter zu verwenden. In den Landschaftsbildern spürt man eine grosse Nähe zu Caspar David Friedrich, nicht nur in den «Seestücken».
Die teilweise selbst sich schon in pure Formen und Farben auflösenden Landschaftsbilder bilden die Brücke zu den abstrakten Bildern, vielleicht dann doch der stärkste Pol in Richters heterogenem Werk. Das prozesshafte Arbeiten mit der Form, für Richter sowieso die Essenz der Kunst, kommt hier unverfälscht und mit grosser Energie zum Ausdruck. Die Bilder ziehen den Betrachter in ihren Bann, selbst in den Reproduktionen in Zweites Buch. Ein Ideal Richters ist die Gleichstellung von Produzent und Betrachter, der im Sehen die Formfindung und vielleicht auch gewisse Assoziationsfelder des Künstlers nachvollzieht, oder eigene Assoziationen entwickelt. Wie auch immer: Viele dieser abstrakten Bilder sind einfach eine Augenweide, etwa die nach dem Komponisten benannte Serie «Cage», und gern gibt man sich der Schaulust hin, bevor man sich wieder den genauen, unnachgiebigen Analysen Zweites zuwendet.
Das ist ein substanzreiches, schön gestaltetes Buch, das dem Leser einiges an Geduld abverlangt, aber er wird reich belohnt mit einem tieferen Verständnis der faszinierenden Kunst Gerhard Richters. Was vielleicht nach der Lektüre am meisten beeindruckt: die über die vielen Jahrzehnte nicht nachlassende Spannkraft, mit welcher der hoch reflektierte Künstler sein Werk schafft. In Armin Zweite hat Richter einen Werk-Biographen gefunden, der diese Kunst mit grossem Ernst und Fleiss punktgenau analysiert und sie in die Geistesgeschichte einbettet.
Mehr zeigen...
Das erlaubt es, die Vielfalt des Schaffens von Richter über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert in den Blick zu bekommen. Sie ist atemberaubend. Welch ein Reichtum von Formen, Materialien, Farben und Nicht-Farben (Richters zeitweilige Vorliebe für Grau)! Längst hat sich Richter den Status eines singulären Künstlers erarbeitet, aber Armin Zweite zeigt auf, wie Richter jeweils aktuelle Kunstbewegungen wie Fluxus oder Pop-Art absorbiert hat. Sein Werk ist das Resultat einer hellwachen Zeitgenossenschaft, die auf verschiedenen Ebenen wirkt. Ursprünglich aus der DDR kommend, verfolgt Richter ab den 1960er Jahren genau die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der BRD, ohne darauf in seiner Kunst mit simplen Botschaften zu reagieren, selbst wenn er einmal ein politisch aufgeladenes Thema direkt inhaltlich verarbeitet, so wie im Bildzyklus «18. Oktober 1977» den Tod der RAF-Häftlinge in Stammheim. Im Vordergrund steht für Richter stets die adäquate Form, die sich erst beim Malen selbst ergeben kann. Darauf spielt das Titel-Statement «Das Denken ist beim Malen das Malen» an, das eine eng zu fassende Autonomie des Kunstgeschehens nahelegt, bei der das «Sehen» im Zentrum steht, das situativ entscheidet, in welche Richtung sich ein Kunstwerk entwickelt. Das erklärt auch Richters Faszination für den Malprozess selbst.
Natürlich klammert «Das Denken ist beim Malen das Malen» elegant aus, dass dem Malen selbst viel Reflexionsarbeit vorausgeht, aber er zeigt auf, wie Malen und Reflektieren einander implizieren. Richter ist ein ausgesprochen intellektueller Künstler, der die Kunsttradition sehr genau im Blick hat, den aber beispielsweise auch Nietzsche geprägt hat. Nihilistische und wohl zeitweise auch depressive Gedanken und Gefühle treiben Richter um, die lange Phase der grauen Bilder legen davon Zeugnis ab. Zweite holt aus diesen bei oberflächlicher Betrachtung irritierend uniformen Gemälden interessante Bedeutungsnuancen heraus. Wir lernen und sehen: Grau ist nicht einfach grau. Der Autor wertet minutiös Interviews oder Briefe von Richter aus, und zieht natürlich auch kunsthistorische Studien bei. Er findet im Allgemeinen eine überzeugende Balance zwischen Fakten und auch mal etwas spekulativer Interpretation. Einzig wünscht man sich gelegentlich, dass er sich vom gar dominanten Adorno-Jargon etwas emanzipierte.
Es ist spannend und anregend nachzulesen, wie und warum Richter seinem stets präsenten Intellekt im Kunst-Machen quasi ein Schnippchen zu schlagen versucht.
Wie: er arbeitet systematisch mit dem Zufall, etwa bei Farbkombinationen, oder er übermalt Bilder immer wieder, und lässt sich von den neu entstandenen Formen leiten. Oder er nimmt fotografische Schnappschüsse, wiederum Zufallsprodukte also, zum Ausgangspunkt für ein Gemälde. Ein eigenes Kapitel widmet Zweite der pingeligen Dokumentation von solchen Fotografien und Skizzen im grossen Buchprojekt «Atlas», das viel über Richters systematische und auch handwerklich sorgfältige Herangehensweise verrät und quasi ein Grundlagen-Archiv seiner Kunst bildet.
Warum: Richter will am Ende nicht auf der Leinwand sehen, was er sich am Anfang ausgedacht hat, er will sich selbst überraschen, in gewisser Weise sich selbst übertreffen. Zufall und Kunstinstinkt leisten mehr als der Verstand. Wie berechnend und diszipliniert Richter den Zufallselementen Raum gibt, ist ein spannendes Paradox in diesem Schaffen.
Einen guten Einstieg in das Werk Richters eröffnen die Landschaftsmalereien. Landschaft bietet dem Menschen eine Verortung, eine Heimat. Zugleich zeigen sich aber im Landschaftsbild auch Natur und Zeit, die erbarmungslos über den Menschen hinweggehen. Manche Landschaftsbilder Richters wirken so, als wäre der Mensch nicht mehr oder noch nicht da. Auch hier handelt der Maler in gewisser Weise vom Nichts, und menschliche Artefakte in den leergefegten Landschaften verstärken nur den desolaten Eindruck. Aber zugleich ermöglichen diese Landschaftsbilder dem Betrachter eine Auseinandersetzung mit dem Nichts, das er immer schon erahnt. Und diese Möglichkeit kann dann Trost spenden, um einen Ausdruck von Richter zu verwenden. In den Landschaftsbildern spürt man eine grosse Nähe zu Caspar David Friedrich, nicht nur in den «Seestücken».
Die teilweise selbst sich schon in pure Formen und Farben auflösenden Landschaftsbilder bilden die Brücke zu den abstrakten Bildern, vielleicht dann doch der stärkste Pol in Richters heterogenem Werk. Das prozesshafte Arbeiten mit der Form, für Richter sowieso die Essenz der Kunst, kommt hier unverfälscht und mit grosser Energie zum Ausdruck. Die Bilder ziehen den Betrachter in ihren Bann, selbst in den Reproduktionen in Zweites Buch. Ein Ideal Richters ist die Gleichstellung von Produzent und Betrachter, der im Sehen die Formfindung und vielleicht auch gewisse Assoziationsfelder des Künstlers nachvollzieht, oder eigene Assoziationen entwickelt. Wie auch immer: Viele dieser abstrakten Bilder sind einfach eine Augenweide, etwa die nach dem Komponisten benannte Serie «Cage», und gern gibt man sich der Schaulust hin, bevor man sich wieder den genauen, unnachgiebigen Analysen Zweites zuwendet.
Das ist ein substanzreiches, schön gestaltetes Buch, das dem Leser einiges an Geduld abverlangt, aber er wird reich belohnt mit einem tieferen Verständnis der faszinierenden Kunst Gerhard Richters. Was vielleicht nach der Lektüre am meisten beeindruckt: die über die vielen Jahrzehnte nicht nachlassende Spannkraft, mit welcher der hoch reflektierte Künstler sein Werk schafft. In Armin Zweite hat Richter einen Werk-Biographen gefunden, der diese Kunst mit grossem Ernst und Fleiss punktgenau analysiert und sie in die Geistesgeschichte einbettet.
Kommentar
Gerhard Richter nimmt immer wieder Bezug auf die Kunstgeschichte, beispielsweise auf Velázquez oder Vermeer. In einem Interview aus dem Jahr 2002 verrät er, was er in diesen Bildern sucht: nicht (nur) ästhetische Perfektion oder handwerkliche Präzision, sondern «Geheimnis» und «Rätsel».
Das Leben ist für uns alle rätselhaft; die Künstler, so könnte man Richters Gedanken interpretieren, setzen sich intensiv damit auseinander. Ein gelungenes Bild zeichnet sich dann durch ein hohes Mass an existenzieller Rätselhaftigkeit aus. Auch wenn die Menschen mit Religionen oder ideologischen Utopien das Geheimnis gemeinschaftlich zu lüften oder immerhin zu zähmen versuchen, bleibt der einzelne Mensch mit seinen Zweifeln und seinen Fragen doch allein. Wenn dann ein Kunstwerk an das Rätsel des Lebens rührt, kann das «Glücksgefühle auslösen». Allerdings liegt es in der Natur eines Geheimnisses, dass es nicht ohne weiteres zutage liegt. Der Bild-Betrachter muss seinen Beitrag leisten, um in einen Dialog mit dem Geheimnis zu treten. Dies ist ganz im Sinne Richters, für den das «Sehen» die entscheidende Kunst-Tätigkeit ist, und der eine Gleichstellung von Produzent und Betrachter postuliert.
Mit dem metaphysischen Anspruch an die Kunst hat Gerhard Richter natürlich auch sein eigenes, faszinierend vielfältiges und rätselhaftes Werk im Blick.