„Es ist nicht nur so, dass neue Merkmale immer durch ontogenetische Prozesse entstehen – die die Expression von Genen steuern und einschränken -, sondern die bei weitem häufigste Quelle neuer Merkmale besteht in den Änderungen der zeitlichen Abstimmung und der Art und Weise, wie bereits existierende Gene exprimiert werden und mit der Umgebung interagieren“
Ursprünglich habe ich die Aussage so verstanden, dass es nicht nur auf die Gene und deren Mutationen ankommt, sondern vor allem auf die ontogenetischen Prozesse, die steuern, wann und auf welche Art und Weise die Gene exprimiert werden. Wenn man den Satz jedoch genau liest, scheint die Aussage eine etwas andere zu sein: es kommt nicht nur auf die ontogenetischen Prozesse an, sondern auf die zeitliche Abstimmung usw., wie Gene exprimiert werden. Das finde ich etwas verwirrend, weil mein Verständnis war, dass die „zeitliche Abstimmung und die Art und Weise“ (der Genexpression) einen Teil der ontogenetischen Prozesse darstellen bzw. sie die ontogenetischen Prozesse sogar konstituieren. Der Satz suggeriert, dass die „zeitliche Abstimmung und die Art und Weise“ etwas Zusätzliches sind, was über die ontogenetischen Prozesse hinausgeht. Entscheidende Frage ist also: Was alles gehört denn nun zu ontogenetischen Prozessen und was nicht?
Tatsächlich, fragwürdige Unterscheidung. Ontogenetische Prozesse finden natürlich immer in der Zeit statt. Allenfalls könnte man einen Standard der zeitlichen Abläufe annehmen für die Ontogenese, von denen dann durch andere zeitliche Staffelung eine Hebelwirkung in der Entwicklung möglich wird. Aber, wie Du sagst, die zeitliche Komponente ist ja nicht unabhängig und kommt dann erst dazu.
Besten Dank für dieses Beispiel! Es sind diese Formulierungsweisen, die mich extrem ärgern: ist das nun ein Problem der Übersetzung oder einfach eine schlampige Formulierungsweise? Ich will und kann doch nicht unterstellen, dass Tomasello den genauen Sachverhalt nicht kennt! Ich befürchte, Tomaselle bemüht sich nicht, verschiedene Lesarten von ‚Ontogenese‘ (die sich überhaupt nicht widersprechen müssen!) begrifflich genauer auseinander zu halten! Aber warum macht er sich dann die Mühe, ein solches Buch zu schreiben, das sich doch an Laien wendet?
Kurz zu Antonio: Es geht meines Erachtens ncht so sehr darum, ob Thomasello den Sachverhalt kennt oder nicht. Hier können wir, denke ich, unterstellen, dass er ihn kennt. Es geht um die Präzision in den Begrifflichkeiten, die auch ich ein Stück weit vermisse. Die Begrifflichkeiten sind ja nicht der Sachverhalt an sich, sondern gewissermassen nur das Medium, und da spielen auch sprachliche Konventionen eine grosse Rolle. Es kann ja durchaus sein, dass Thomasello dem einen nicht so hohen Stellenwert einräumt oder dass er hier gar eine Schwäche hat. Dass finde ich solange verschmerzbar, indem man mehr oder weniger schliessen kann, was er denn meint. Sobald es deswegen aber zu gröberen Verständnisproblemen, Missverständnissen oder Unklarheiten kommt, ist es kritisch.