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Besprechung für Maschenka

Moritz T. Keine Kommentare Kommentar hinzufügen
Besprechung:

Russische Emigrantenszene in Berlin, alle Figuren gezeichnet vom Trauma der Oktober-Revolution 1917 und dem Exil. Die Zwangsgemeinschaft einer billigen Pension mit den gemeinsamen Mahlzeiten und den dünnen Wänden zwischen den Zimmern.

Ganin schlägt sich als Fabrikarbeiter oder Kellner durch, ist aber zurzeit ohne Arbeit und auch ohne Plan, wie es weitergehen soll. Er hat eine Geliebte namens Ljudmila, der er aber überdrüssig ist und die er loswerden möchte, er weiss einfach nicht, wie er das anstellen soll. Den deprimierten Ganin plagt ein unbestimmtes Fernweh, die Eisenbahnschienen fahren symbolischerweise quasi durch die Pension und er träumt sich fort.

Der geschwätzige Pensionsgast Alfjorow erzählt allen, die ihm zuhören, dass ihn bald seine junge Ehefrau Maschenka besuchen wird. Er zeigt Ganin ein Foto der Gattin, und damit ändert sich die Dynamik der Erzählung.

Ganin erkennt auf dem Bild seine Jugendliebe Maschenka wieder. Es werden nun in geschmeidiger Sprache die Erinnerungen Ganins an die Begegnungen mit ihr im vorrevolutionären Russland heraufbeschworen, quasi im Weichzeichner, während zuvor ein kurz angebundener, leicht zynischer Ton vorherrschte, mit denen Pensionsgäste als traurige Figuren vorgeführt werden.

Ganin erinnert eine abendliche Szene in einem Park: die innige Liebe zu Maschenka wird in einer dramatischen Gefühlswendung vom Erlöschen dieser Liebe «für immer» abgelöst. Ein wenig Glut scheint aber weiter zu schwelen, denn Ganin schmiedet jetzt Pläne, Maschenka am Bahnhof abzufangen und mit ihr fortzugehen. Er setzt stillschweigend voraus, dass Maschenka den unvorteilhaft gezeichneten Alfjorow verlassen wird, sobald sie Ganin erblickt.

Sein Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: nicht nur trauert ihm Ljudmila nach, die er jetzt endlich verlässt, auch deren Freundin Klara schwärmt für ihn, obwohl sie ihn bei einem vermeintlichen Diebstahl erwischt hat.

Die Geschichte spitzt sich zu, als sich Ganin am Morgen der Ankunft Maschenkas nach einer durchzechten Nacht mit gepackten Koffern zum Bahnhof begibt. Den Leser erwartet nochmals eine dramatische Wende.

In seiner Autobiographie «Erinnerung, sprich» hat Nabokov offengelegt, dass er in seinem ersten Roman «Maschenka» seine Jugendliebe «Tamara» portraitiert, die eigentlich Walentina hiess. Die Briefe Maschenkas, die im Roman zitiert werden, sind Briefe Walentinas, die Nabokov bereits auf dem Weg ins Exil auf der Krim erhielt. In gewisser Weise verkörperte Tamara für Nabokov oder hier im Roman Maschenka für Ganin das untergegangene Russland, die Sehnsucht nach dem Mädchen und die Sehnsucht nach dem Russland vor der Revolution verschmelzen.

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