Besprechung für Unverfügbarkeit
In „Unverfügbarkeit“ legt Hartmut Rosa seine Theorie der Resonanz in 9 schlanken Kapiteln auf gerade einmal 130 Seiten gewissermaßen in Kurzform dar, nachdem sein Hauptwerk „Resonanz“ auf stolze 800 Seiten kommt (das Rosa selbst nicht ohne Selbstironie als „langatmig“ bezeichnet).
Der zentrale Begriff der Resonanz bezeichnet dabei einen Zustand, in dem ein Subjekt mit etwas anderem – sei es ein anderes Subjekt, ein Bild, ein Musikstück, eine Landschaft – in eine Beziehung eintritt, die es anrührt und in ihm etwas auslöst, es regelrecht verwandelt, als wäre eine Saite zum Schwingen gebracht worden: Das Subjekt macht eine Resonanzerfahrung. Rosa führt aus, dass es nur dann zu Resonanzerfahrungen kommen kann, wenn über das andere nicht verfügt und es nicht kontrolliert, beherrscht oder vollständig erfasst wird, es muss etwas Unvorhersehbares, Eigensinniges beinhalten, was nach Rosa nichts anderes heißt, dass es mindestens in Teilen unverfügbar sein muss.
Der Grundwiderspruch der Moderne besteht für Rosa darin, dass sie in ihrem Steigerungs- und Optimierungszwang „Weltreichweite“ vergrößern und alles und jeden verfügbar machen will, was der Resonanzerfahrung gerade entgegengerichtet ist: Das Bestreben des Verfügbarmachens drängt die Unverfügbarkeit immer weiter zurück, bis irgendwann praktisch nichts mehr von ihr übrig ist und die Welt unerreichbar geworden ist. Gemäß Rosa besteht in der Moderne die Welt aus Aggressionspunkten, die kontrolliert und beherrscht werden wollen, es gilt, die vielen Widerstände, die sich der Verfügbarmachung entgegenstellen, zu überwinden, um Dinge sichtbar, erreichbar, beherrschbar und nutzbar – nach Rosa die vier Dimensionen der Verfügbarkeit – zu machen.
Damit befindet sich die Moderne in einem strukturellen Dilemma, indem sie durch ihre Logik der Verfügbarmachung immer mehr Dinge und Möglichkeiten schafft, dabei aber umgekehrt die von allen ersehnte echte Resonanzerfahrung und die damit einhergehende Selbstwirksamkeit – das Gefühl, aktiv und selbstbestimmt eine Wirkung entfalten zu können – unerbittlich untergräbt, was in unserer kapitalistischen Warenwirtschaft wiederum eine intensivierte Verfügbarmachung hervorruft. Dies führt schließlich zu dem, was Rosa „Weltverstummung“ nennt – die moderne Welt verliert zunehmend ihre Resonanzfähigkeit, sie büßt an „Responsivität“ ein, weil sie alles erfassen, messen, kontrollieren, beherrschen, „parametrisch optimieren“, steigern will und ihr dabei das Gefühl für das Gegenüber abhandenkommt.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Rosa in einer Art Rückbesinnung auf unser Begehren: „Eine neuerliche Analyse der Struktur unseres Begehrens … mit psychologischen, philosophischen und soziologischen Mitteln, eine Ideologiekritik des je eigenen Begehrens ..:“ könne uns aus dem Labyrinth der resonanzlosen Steigerungsgesellschaft herausbringen
Rosa bedient sich eines individualpsychologischen Vokabulars der Ersten-Person-Perspektive, in der Begriffe wie Begegnung, Berührung, Affizierung, Anrufung, Anverwandlung, Sich-Einlassen, Begehren zentral sind. Seinen Ausführungen ist dank seiner vielen Alltagsbeispiele (und trotz zahlreicher langer Satzkonstruktionen) recht mühelos zu folgen, als Leser fühlt man sich sorgsam mitgenommen. Allerdings liest sich das Buch weniger als eine soziologische, für den Laien verdaulich dargebrachte wissenschaftliche Abhandlung, sondern eher wie ein Plädoyer, in dem Rosa Lesende einlädt, sich auf seine Sicht einzulassen – was auch angeraten ist, um seine in durchaus eigenwilligem Vokabular hervorgebrachten Thesen nachvollziehen zu können. Dies ist vielleicht auch der Grund dafür, dass seine Kritik an der Moderne, mit der er die Lesenden dann in der objektivierenden Dritten-Person-Perspektive schonungslos konfrontiert, wie ein Sprung in die unpersönliche, kalte Welt der nüchternen, zwingend anmutenden Schlussfolgerungen vorkommt, die nicht in allen ihren Details vollumfänglich zu überzeugen vermögen.
Ungeachtet seiner dezidierten, selbstbewusst und mitunter stark überspitzt vorgetragenen Thesen und der verkürzten, holzschnittartigen Charakterisierung der Moderne ist der Ton immer zugewandt und in keiner Weise überheblich. In Nachhinein konstatiert Rosa gar, dass dieses Buch sicher „nicht der Weisheit letzter Schluss“ sei. Eine durchaus bereichernde Lektüre ist es aber schon.
Von weitem wirkt es etwas überraschend, dass Hartmut Rosa einen Ausweg in einer Analyse des Begehrens sieht oder sucht. Viel eher hätte man von einem Soziologen und Politikwissenschaftler ein Plädoyer gegen den Drang zur Normierung beispielsweise in der Europäischen Union erwartet, für Diversität und Kleinteiligkeit, um so die Resonanzfähigkeit zu erhalten. Der Ansatz beim Begehren ist wohl radikaler: wenn wir (wieder) herausfinden, was uns Lust macht, was uns bewegt, was uns entspricht, dann haben wir einen Hebel, um eben auch in der Politik die entsprechenden Veränderungen anzustreben. Stellt sich dann allerdings die Frage, inwieweit unser Begehren etwas Unantastbares, Unveränderliches ist, auf das wir rekurrieren können, um uns neu zu positionieren. – Die Besprechung macht jedenfalls neugierig auf das Buch. Ich habe hier noch ein etwas älteres Interview mit Hartmut Rosa zum Thema gefunden: https://www.euangel.de/ausgabe-2-2018/resonanz/eine-art-von-begehren-nach-welt/
Ja, ich denke, Du triffst es sehr gut. Das mit dem Begehren habe ich auch als etwas verwunderlichen „Move“ empfunden, der, wie das ganze Buch, ein wenig an der Grenze zur Esoterik schrammt. Ihm scheint es um etwas wirklich Strukturelles zu gehen, da ist die Normierungswut der EU vermutlich nur ein Symptom für ihn (obwohl er interessanterweise den Hang zu immer mehr Bürokratisierung auch als resonanz-mindernd thematisiert). Das Buch ist wirklich gut geschrieben und angenehm zu lesen, man kann ihm gut folgen, aber am Ende ist es doch nicht ganz meine Richtung. Mich würde die Frage interessieren, wie Moderne ohne Steigerung und Optimierung funktionieren kann, also letztlich eine Wirtschaft/Gesellschaft ohne Wachstum. Dazu sagt er nichts, aber das ist vielleicht auch eher eine Frage für Ökonomen.