Besprechung für Mars
„Mars“ ist der Bericht einer Leidensgeschichte und gleichzeitig eine Abrechnung mit allem, was zur bürgerlichen Welt zählt. Der Ich-Erzähler, der sich spät als Federico zu erkennen gibt, erzählt von seiner Kindheit und Jugend in der elterlichen Villa an der Zürcher Goldküste, der unterkühlten Atmosphäre in seinem Elternhaus mit einer Vielzahl von ungeschriebenen Gesetzen, etwa, dass man immer ruhig zu sein hat oder dass man über heikle Themen nicht spricht, weil sie „schwierig“ sind, von seiner Studienzeit an der Universität Zürich und seinem Leben als Lehrer an einer Kantonsschule. Im Vordergrund stehen aber seine Unfähigkeit, ein normales Leben zu führen, Freundschaften mit anderen Menschen zu schliessen oder gar eine feste Beziehung einzugehen, und seine schwere Krebserkrankung, die nach und nach seinen ganzen Körper auszehrt und die der Erzähler als sinnbildlich für sein gescheitertes Leben auffasst.
Der Bericht ist ein einziges Hadern mit seinem Schicksal und seiner Umwelt, vor allem seinen Eltern und seinem familiären Umfeld, denen er die Verantwortung für seine schweren Depressionen, seinen Unzulänglichkeiten und letztlich seinem Scheitern im Leben zuweist.
Er tut dies auf durchaus wortmächtige Art. Es scheint ihm ein grosses Bedürfnis zu sein, sich in dieser Ausführlichkeit und seiner nachgeraden Beflissenheit, die an missionarischen Eifer grenzt, mitzuteilen, und es scheint ihm darüber hinaus wichtig, sich den Lesenden wirklich genau verständlich zu machen, zumal er zuweilen wortreich beschreibt, wie er die Dinge meint oder auf welche Weise er die verwendeten Begriffe verstanden wissen will.
Als reine Fiktion wäre der Bericht eine bemerkenswerte, wenn auch stark überzeichnete psychologische Studie einer verkrachten Existenz aus reichem Hause gewesen. In dem Wissen, dass es sich offenbar weitestgehend um einen autobiografischen Bericht handelt, hat er etwas zutiefst Bedauernswerts, Verstörendes und Tragisches. Und dies gar nicht so sehr, weil jemand von üblen Schicksalsschlägen geplagt ist, mit seinem Leben über alle Massen hadert und schliesslich sein Körper auch noch von einem aggressiven Krebs zerfressen wird, sondern vielmehr deswegen, weil er sich so sehr abmüht, seine Theorien über sein Leiden im Besonderen und das Leben im Allgemeinen gleichsam herauszuschreien und seinem Leiden damit einen Sinn abzuringen. Der Leser begleitet ihn dabei, wie er sich immer tiefer in seinen neurotischen, verbitterten, hass- und wutdurchtränkten Gedanken verstrickt, sich in wüsten Anklagen gegen seine Familie und seine bürgerliche Umwelt ergeht und sich mitunter zu absurden Vergleichen – etwa den Vergehen seiner Eltern bei seiner Erziehung und den Verbrechen der Nazis – hinreissen lässt. Er wird immer klarer, dass man es zwar mit einem gebildeten, intelligenten, sprachgewandten und begabten Menschen zu tun hat, der in seiner eigenen Verstrickung und Verbitterung aber etwas zunehmend Autistisches oder gar Narzisstisches anzunehmen scheint, zumal sich alles immer nur um ihn selbst dreht und er aus seinem so tief empfundenen Schicksal eine geradezu weltumspannende Theorie mit philosophischem Anspruch ableitet.
Bemerkenswert dabei ist, dass der Bericht gar nicht anstrengend zu lesen ist. Er bedient sich einer gefälligen Sprache, ist flüssig geschrieben und nicht ohne dramaturgisches Geschick verfasst, er mutet mitunter sogar satirisch-originell an. So hinterlässt der Roman ein eigentümliches Gefühl: Er vermag trotz zunehmend haarsträubender Ausführungen durchaus zu fesseln.