SEITE: 99 bheym 1 Kommentar
Stelle:

Erklärung von Perspektive: „Ohne ein Bewusstsein mehrerer potenzieller Möglichkeiten, die Situation zu sehen, kann man von einem Individuum nicht sagen, dass es überhaupt Perspektiven einnimmt“.

Anmerkung:

Eine Perspektive einzunehmen heißt also darum zu wissen, dass es auch andere mögliche Perspektiven gibt. Vor diesem Hintergrund wird die weiter oben erwähnte „nichtperspektivische“ Wahrnehmung von Menschenaffen verständlich: Menschenaffen haben eine Vorstellung davon, was andere Menschenaffen wissen, kontrastieren dies aber nicht mit ihrem eigenen Wissen; das eigene Wissen scheint in diesem Moment irrelevant zu sein. Das ist für mich eine fast erstaunliche Unterscheidung, auf die ich nicht gekommen wäre und bei der ich mir nicht ganz sicher bin, ob sie überhaupt haltbar ist: Ist es plausibel anzunehmen, dass, wenn ich weiß, was eine andere Person weiß, ich es nicht mit meinem eigenen Wissen abgleiche? Steht dies nicht auch im Widerspruch zu einem Beispiel weiter oben, in dem ein Menschenaffe sieht, wo Futter versteckt ist und gleichzeitig weiß, dass ein dominanter Artgenosse dies nicht sieht, weil für ihn ein Hindernis im Weg steht. Der untergeordnete Menschenaffe holt sich dann das Futter: Ist es hier nicht so, dass der eine Affe weiß, was der andere nicht weiß, und deswegen seinen (Wissens-)Vorteil dann ausnutzt?

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Moritz T.

Soweit ich verstehe, ist für Tomassello entscheidend, dass das Menschenkind akzeptiert, dass es unterschiedliche, auch widersprüchliche Perspektiven geben kann, und dass seine Perspektive nur eine mögliche ist. Der Menschenaffe erkennt verschiedene Wissenszustände, und ist also in der Lage, den abweichenden Wissensstand eines Artgenossen einzukalkulieren. Das bedeutet meines Erachtens zwingend, dass es dem Menschenaffen klar sein muss, dass es verschiedene und widersprüchliche Perspektiven gibt. Denn wie soll er den Unterschied ausnutzen können, wenn er den Widerspruch in der Perspektive nicht präsent hat? Was bleibt an einer möglichen Differenz zum Menschenkind? Ist es das Bewusstsein des Menschenkinds, dass seine Perspektive auch eine relative ist, d.h. falsch sein kann?

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