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Besprechung für Die Scholems

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Geller legt eine gründlich recherchierte Geschichte der Familie Scholem vor, die zugleich in vielem repräsentativ ist für die Geschichte der assimilierten Juden Deutschlands Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die vier Söhne von Betty und Arthur Scholem schlugen denkbar verschiedene Lebenswege ein; die beiden älteren, Reinhold und Erich, übernahmen die Druckerei der Familie, und führten ein gutbürgerliches Berliner Leben, bevor sie – spät, 1938 – nach Australien emigrierten. Die beiden jüngeren, Werner und Gerhard, waren Intellektuelle, die radikale, aber sehr unterschiedliche Positionen einnahmen, und sehr früh den Bruch mit ihrem Herkunftsmilieu provozierten. Werner war in den 1920er Jahren ein landesweit bekannter Kommunist, der sich vom Judentum distanzierte; er wurde jahrelang von den Nazis gefangen gehalten und 1940 ermordet. Gerhard, bald Gershom, war ein Zionist, der in jungen Jahren und lange vor der Nazi-Machtübernahme nach Palästina emigrierte, und dort als Kabbala-Spezialist an der Jerusalem University eine grosse wissenschaftliche Karriere startete. Der Bildungshunger, tief verankert im deutsch-jüdischen Milieu, nahm bei Gershom eine Wendung zurück zu den jüdischen Wurzeln; dabei bleibt er – bei aller Distanzierung – in vielem ein Deutscher, nicht zuletzt in seinem akademischen Habitus.

Werner und vor allem Gershoms Lebenswege sind gut dokumentiert, zur Lebensgeschichte der Eltern, Reinholds und Erichs gibt es weniger gute Quellen. Das Buch leidet ein wenig unter diesem Ungleichgewicht, auch wenn Geller sich bemüht, das Elternhaus und die beiden älteren Brüder nicht zu kurz kommen zu lassen; insbesondere das ambitioniert überschriebene Kapitel „Berliner Kindheit um 19. Jahrhundert“ bleibt aber blass. Gern wäre man noch etwas tiefer in den unspektakulären Berliner Alltag der Druckereibesitzer eingetaucht. Zuweilen hangelt sich der Autor von Quellenaussage zu Quellenaussage, und atmosphärische Verdichtungen bleiben aus. Der nüchterne Stil hat aber durchaus seine Meriten, vor allem in den Schilderungen des schleichenden und dann eskalierenden Terrors nach 1933.

 

 

 

 

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