Besprechung für Als Gast
Der Ich-Erzähler zieht um; weg aus der Abstellkammer, in der er diesen schwierigen Winter nach der Trennung von Sybille überdauert hat, zu Freunden ins Frankfurter Westend. Das Buch erzählt von den ersten zwei Märzwochen 1984, die er – als Gast – dort wohnt. Es ereignet sich nicht viel: er trifft den Freund Jürgen, die Freundinnen Anne und Edelgard, und jeden Tag die Tochter Carina. Das Ereignis ist der Alltag: mit Wucht prasseln die Eindrücke auf den Ich-Erzähler ein, der sie sich in seiner Sammelwut nicht entgehen lassen darf: alles muss festgehalten, notiert und extrapoliert werden: er versetzt sich in die Katze, er erinnert sich an seine Kindheit, an frühere Begegnungen mit den Freunden. Die Erinnerungen sind häufig etwas weniger dicht erzählt, eher ein Aufruf als eine Vergegenwärtigung. Und immer kommt die Not dazwischen, die der Ich-Erzähler leidet: Geldnot, verlassen von der Partnerin, er ist nicht immer mit Carina zusammen, arbeitslos. Er wirkt atemlos, übermüdet, er schläft nicht gut, ist häufig auch zu ruhelos um zu essen; nichts ist ihm selbstverständlich. Die beständigen Wiederholungen dieser Motive verleihen der amorphen Erzählung Rhythmus und Struktur, zuweilen aber machen sie sie auch ein wenig zäh; nicht nur der Ich-Erzähler tritt an Ort, auch die Geschichte. Hervorragend dann aber Passagen, in denen der Ich-Erzähler sich durchlässig zeigt für die Frankfurter Umgebung, sie absorbiert und die Gegenstände und Gestalten in einen Erzählfluss geraten: so wenn er mit Carina nach Höchst geht (um sich als Autor einen Lesetermin samt Vorschuss zu sichern), oder wenn er Carina zum Zug bringt: hinreissendes Porträt des Frankfurter Hauptbahnhofs.
Überhaupt ist die Stadt Frankfurt am Main die Heldin dieses Romans, mit ihren Strassen, Supermärkten, Eiscafés; Pennern, Passanten, Kindern; Amseln, Spatzen, Hunden; Stimmungen, Witterungen, Tageszeiten. Eine Hymne auf diese oft graue, häufig spiessige, vielerorts schmuddelige deutsche Stadt, bei aller Sehnsucht nach dem Süden, die immer wieder durchbricht, bei kleinem Anlass: eine Pizzeria genügt, um sich nach Napoli zu imaginieren.
Die Not ist gross in diesem Roman, der Ich-Erzähler leidet immer noch sehr unter der Trennung von seiner Familie. Und doch gibt es Lichtblicke nach den düsteren Monaten zuvor, eine Ahnung von Frühling.