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Besprechung für Das Tagebuch der Menschheit

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Carel von Schaik und Kai Michel verfolgen ein ehrgeiziges Ziel: Die Bibel, für viele ein Buch mit sieben Siegeln, zugänglich zu machen und in einen historischen und evolutionären Kontext einzubetten. Sie fördern dabei spannende Erkenntnisse zutage: Gott legt in der Bibel einen Weg zurück, eine Karriere sozusagen: Er setzt sich durch gegen konkurrierende Götter, die im Alten Testament eine grosse Rollen spielen. Erst allmählich wird er zum einzigen Gott, dem unterderhand in Form des Teufels wieder ein Gegner erwächst. Er hat sich erst mit der Zeit intellektualisiert und entmaterialisiert und damit unantastbar gemacht, Attribute wie allwissend, unveränderlich, ewig,  absolut sind dann nachbiblisch. Seine Herrschaft dehnte der biblische Gott erst spät auf das Jenseits aus, das geht leicht vergessen, wenn man sich die zentrale Bedeutung von Himmel und Hölle für das Christentum vor Augen führt.

Die Autoren legen diese Schichten der Gottesbedeutung umsichtig frei. Sie bedienen sich dabei eines leicht irritierenden Tons: Die beiden Agnostiker gestehen ironisch Gott einen Subjektstatus zu, wie im Absatz oben in dieser Besprechung reflektiert. Er wird als sich veränderndes Wesen vorgeführt, das sich im Götterwettstreit taktisch klug neue Merkmale zulegt. Sie zeigen die Gottesentwicklung aber auch im historischen Kontext, Jahwe als Produkt einer cleveren Priesterkaste, die ihre Interesse mit Hilfe dieses Gottes durchsetzen konnte. Vor allem aber verdankt sich der Erfolg Jahwes einer prekären Balance von Bedürfnissen der ersten, zweiten und dritten Natur des Menschen: das ist die Kernthese dieses Buches.

Die Autoren vermuten, dass das biblische Paradies eine Erinnerung sei an die Zeit, als unsere Vorfahren sich in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler durch die Savanne bewegten. In dieser Phase der Menschheitsgeschichte kommen erste Natur (angeborene Verhaltensweisen, Instinkt, Bauchgefühl) und zweite Natur (Bräuche, Sitten) kaum in Konflikt, die dritte Natur (Vernunft, Logik) muss selten aktiviert werden, da die Menschen in einem Gleichgewicht mit der Umwelt leben. Das sei erst mit dem Sesshaftwerden notwendig geworden, mit dem Leben in grösseren Verbänden, und erst seither seien die Konflikte zwischen den verschiedenen menschlichen Naturen an der Tagesordnung: das Unbehagen in der Kultur hebt an mit der Landwirtschaft.

Der Bruch mit einer jahrtausendealten Lebensweise habe sich nicht in unseren Genen reflektieren können, dazu sei zu wenig Zeit gewesen. Darum breche immer wieder unsere erste Natur durch, die dann von der zweiten und dritten Natur im Zaum gehalten werden müsse. Der jüdisch-christlichen Religion gelingt es nun, die Bedürfnisse der verschiedenen Naturen abzudecken. Mit dem Sesshaftwerden handeln sich die Menschen Katastrophen ein, die sie als Sammler und Jäger nicht gekannt haben: Epidemien, Überschwemmungen der Siedlungen, durch die Haustiere übertragene Krankheiten, Kriege zwischen Staaten. Es gehört zur ersten Natur des Menschen, dass er in Katastrophen nach Schuldigen sucht und sich mit der zweiten und dritten Natur für die Zukunft ein Schutzprogramm verschreibt: die Götter sollen gegen die Verheerungen immunisieren. Die Autoren argumentieren, dass Jahwe ein Katastrophen-Gott erster Güte gewesen sei, sein Volk habe mehrere massive Katastrophen erlebt, die paradoxerweise nicht zum Untergang des Gottes geführt haben, sondern zur Stärkung seiner Stellung, und der Durchsetzung einer Flut von Geboten und Verboten (die Tora kennt mehr als 600).

Die Autoren fokussieren stark auf das Alte Testament, aber auch Figuren und Ereignisse des Neuen Testaments werden in geschichtlichem Kontext gezeigt; im Zentrum steht Jesus mit seinem starken Appell an die erste Natur des Menschen, der Liebe zum Nächsten, und der Erwartung der Endzeit, der Erlösung. – Eindrücklich führen die Autoren vor Augen, aus welch hybriden Elementen insbesondere das Christentum zusammengesetzt ist.

Das alles liest sich plausibel und ist mit leichter Hand dargestellt. Allerdings hegt man bei der Lektüre den Verdacht, dass die Autoren eine allzu starke Komplexitätsreduktion betreiben und einer confirmation bias unterliegen: sie lesen die Bibel im Lichte ihrer Grundthese und sehen sich überall bestätigt. Jäger und Sammler scheinen idealisiert dargestellt, und es wirkt etwas forciert, zeitgenössische Demokratisierung und die Gleichberechtigung der Frau auf Impulse aus dieser Phase der Menschheitsgeschichte zurückzuführen.

Trotz dieser Abstriche: die Lektüre des „Tagebuchs der Menschheit“ ist sehr lohnenswert, einige der sieben Siegel werden aufgebrochen, und man liest die Bibel in neuer Perspektive und mit frischem Interesse.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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