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Besprechung für Under the Banner of Heaven

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Ron Lafferty, Mitglied einer fundamentalistischen Mormonensekte, empfängt eine göttliche Offenbarung: seine Schwägerin, ihr Baby, und zwei weitere Menschen aus seinem Umfeld sollen „removed“, umgebracht werden. Auffällig ist, dass Ron gegen die Opfer Wut und Rachegefühle hegt und die Offenbarung eigenen Intentionen entsprechen dürfte: er hält sie für mitschuldig daran, dass seine Frau ihn und Utah verlassen hat und mit den Kindern nach Florida gezogen ist.  Die Offenbarung wird unter den Führern der Sekte diskutiert: ist das wirklich eine göttliche Weisung? Nur Rons Bruder Dan glaubt neben Ron daran, und die beiden machen sich auf, Gottes Wille in die Tat umzusetzen. Nach dem grausamen Mord an Schwägerin und Nichte und der Verhaftung der Brüder erhält Ron im Gefängnis eine weitere „revelation“: er soll Dan töten. Sein Brüder hält die Offenbarung für glaubwürdig und willigt ein, sich töten zu lassen. Dan überlebt die Strangulierung knapp. Später glaubt Dan, dass Ron dem Teufel anheim gefallen ist, und er, Dan, der Prophet Elia ist, der „the second coming of Christ“ vorbereitet.

Die Geschichte zweier Wahnsinniger, die ihren Wahnsinn mit phantasievollen religiösen Motiven ausschmücken? Oder zwei religiöse Fanatiker, die uns die Mechanismen des religiösen Glaubens begreifen lassen?

Krakauers ursprüngliche Motivation für dieses Buch bestand darin, das Wesen des religiösen Glaubens besser zu verstehen, und die relativ junge, dafür aber gut dokumentierte Geschichte der Mormonen versprach viel herzugeben für einen solchen Versuch. Der Autor gesteht, dass das Buch – mit dem Fokus auf die Laffertys – sich in eine andere Richtung entwickelt habe. Abwechselnd widmen sich die Kapitel den Laffertys (und anderen zeitgenössischen fundamentalistischen Mormonen) und der Geschichte des Mormonentums, in Aspekten, die in beiden Erzählungen wichtig sind: Ablehnung der staatlichen Autorität; Polygamie; Erwartung der Apokalypse; die mindestens latent zur Gewalt neigenden Abgrenzung von Nicht-Gläubigen, den Heiden; der Glaube an Offenbarungen. Die Offenbarungen und die Eingebungen, auf die sich der Gründer Joseph Smith beruft, sind für Aussenstehende spektakulär unglaubwürdig, und oft scheinen sie durchsichtigen, weltlichen Motiven zu folgen, ihm die Gefolgschaft seiner Anhänger sichernd. Die „revelations“ von Ron Lafferty scheinen sehr direkt Lösungen für die persönlichen Probleme des „Propheten“ zu bieten, und kaum einen appeal für die weitere Umgebung bereitzuhalten.

Eine von Krakauers Stärken liegt darin, Fakten und Berichten viel Raum zu geben, ohne fortwährende Wertung und Analyse. Das ist zeitweilig schwer erträglich, wenn er vom Doppelmord der Laffertys erzählt, sich dabei stark auf Dan Laffertys Auskünfte stützend. Wenn er die Geschichte des Sektengründer Joseph Smith und seiner Nachfolger erzählt, kann sich Krakauer den einen oder anderen polemischen Seitenhieb nicht verkneifen. Die Engführung der beiden Erzählstränge gaben der Kirche der Mormonen reichlich Angriffsfläche, s. hier: Church Response to Jon Krakauer’s Under the Banner of Heaven (churchofjesuschrist.org). Für die Latter-Day-Saints (LDS) sind die Laffertys gar keine Mormonen mehr, erst recht nicht nach der Exkommunikation.  Vielleicht wäre es besser gewesen, sich ganz auf eine nüchterne Darstellung der unglaublichen Geschichte der Mormonen zu konzentrieren, sie bietet Stoff genug zum Nachdenken über Religion, Lüge und Gewalt; und die Mordgeschichte in einer separaten Reportage zu veröffentlichen.

Warum hat sich ausgerechnet in den USA eine Kirche wie diejenige der LDS etablieren können? Welches sind die Ingredienzen, die sie erfolgreich werden liess? Es gab vermutlich Faktoren, die eine Ermächtigung, wie sie Joseph Smith erfahren hat, begünstigt haben: Die Weite des zu besiedelnden Kontinents, die Erfahrung einer überwältigenden, schwer auszuhaltenden (Gedanken-) Freiheit, die fehlenden Institutionen und Traditionen, das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft und der Abgrenzung von anderen. Krakauer verneint nicht, dass Joseph Smith möglicherweise ein religiöses Genie gewesen ist, er muss über beträchtliches Charisma verfügt haben. Und Smith hat sich ein Paradox zu Nutzen gemacht: ein höchst unwahrscheinlicher Gründungsmythos (wie das Auffinden des Buch Mormons auf Goldplatten auf einem Hügel im Staate New York, geschrieben von Propheten, die angeblich in der Antike in Amerika gelebt haben, s. Book of Mormon – Wikipedia) hat eine hohe Kohäsionskraft: wer sich dazu bekennt, muss einen Sprung in den Glauben machen, aus dem es dann kaum ein Zurück gibt, zumal die Apokalypse zu Lebzeiten droht.

„Under the Banner of Heaven“ ist ein kontroverses, spannendes Buch, das vielleicht nicht ganz die ideale Form gefunden hat. Aber es wirft viele, existenzielle Fragen auf, und man ist Krakauer dankbar, dass er ihnen mit solchem Nachdruck nachgeht.

 

 

 

 

 

 

 

 

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