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Besprechung für Winzige Gefährten

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Mikroben waren lange vor uns da, überall. Als Tiere und Menschen sich entwickelten, haben sie die Mikroben naturgemäss auch besiedelt, und lebten als Symbionten mit den Mehrzellern. Zuweilen können sie uns gefährlich werden, meist aber sind sie von grossem Nutzen, oder gar unentbehrlich. Der Wissenschaftsjournalist Ed Yong erzählt von der Entdeckung der «Winzigen Gefährten», die wir gerade erst in ihrer Bedeutung zu verstehen beginnen, und wie eng sie mit uns koexistieren. Die Forschung zum Mikrobiom boomt.

Pro Stunde geben wir Millionen Bakterien an unsere Umgebung ab, schwierig, sich die Dimension dieses Vorgangs vorzustellen. Aber wir reden von Milliarden von Mikroben, die mit uns leben. Die Gesamtheit aller Mikroben eines Menschen nennt man sein Mikrobiom. Es ist faszinierend sich zu vergegenwärtigen, dass wir ständig von einer Mikrobenwolke umgeben sind, die sich im Austausch mit anderen Wolken befindet. Die Wolke eines jeden Lebewesens, eines jeden Menschen hat eine unterschiedliche Zusammensetzung, eine eigene Signatur. Wenn man dann noch in Rechnung stellt, dass sich diese Mikrobenwolke beständig wandelt und so eine spezifische Geschichte hat (die auf intrikate Weise mit der Gesamtgeschichte eines Menschen verquickt ist), kann einen schwindeln. Unvorstellbar, welche «Big Data» man aus dem Mikrobiom extrahieren könnte.

Das Mikrobiom hat einen Einfluss auf unser Befinden, auf unsere Gesundheit. Ja, Mikroben sind ein Teil von uns, der Originaltitel von «Winzige Gefährten» zitiert Walt Whitman: «I contain multitudes». Was immer wir essen, berühren, einatmen – es hat einen Einfluss auf unser Mikrobiom, und längst ist das Mikrobiom in den Fokus der Medizin gerückt, die mit mehr oder weniger gezielten Interventionen Einfluss zu nehmen versucht. Antibiotika vergleicht der Autor mit Massenvernichtungswaffen, als würde man eine Stadt bombardieren, um eine Ratte zu töten. In der Tat verheeren Antibiotika die ganze Mikrobenlandschaft im Verdauungstrakt, und schaffen damit auch Raum für potentiell gefährliche Neuansiedler.

Lange haben wir «Keime» in erster Linie als etwas Negatives, Gefährliches wahrgenommen. Yong vermittelt eindrücklich, dass es Leben ohne Mikroben gar nicht gibt. Die Frage ist aber sehr wohl von Belang, welche Art von Mikroben uns besiedeln oder umgeben. Wenn in einem Krankenhaus die Aussenwelt luftdicht ausgesperrt bleibt und die Räume klinisch sauber gehalten werden, so heisst das in erster Linie, dass man eine Mikrobenwüste schafft, die die (gefährlichen) Mikroben der Patienten leicht besiedeln können. Kein Wunder, steckt man sich leicht an im Krankenhaus. Es wäre für die Gesundheit der Patienten wohl förderlicher, wenn man kräftig lüften und nicht so oft putzen würde… Für Toiletten gilt analoges: Häufiges Reinigen ermöglicht Mikroben die Besiedelung, die durch die Toilettenspülung in die Luft geschleudert werden. Nicht so einfach, wenn sie sich gegen bereits dort angesiedelte Mikroorganismen durchsetzen müssen.

Besonders hartnäckige Fälle von Durchfall hat man erfolgreich geheilt mit Stuhltransplantation, einem etwas unappetitlichen Verfahren, das den Stuhl eines (gesunden) Menschen in den Darm des Patienten einführt, wo sich die Mikroben des Stuhls heimisch machen – und (zuweilen) heilsam wirken. Unter Tieren ist das Kotfressen von Artgenossen weit verbreitet, und die Angewohnheit scheint durchaus eine gesundheitsfördernde Funktion zu haben.
Natürlich besteht auch die Gefahr, so Krankheitserreger aufzunehmen. Forscher versuchen gezielt Mikroorganismen zu züchten und Patienten zu verabreichen. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, die Vielfalt der Wechselwirkungen der Mikroorganismen untereinander und mit ihrem Wirt zu verstehen.

Wenn wir unsere Gene an die nächste Generation weitergeben, dann ist das ein Vertikaler Gentransfer. Daneben gibt es aber auch den Horizontalen Gentransfer (HGT): Schon vor Jahrhunderten pflegten Japaner Nori-Seetang zu essen, damals noch roh oder halbroh. Mit dem Tang gelangten auch darauf lebende Bakterien in den Darm; zwar waren die Meeres-Bakterien dort nicht lebensfähig, aber sie gaben ein Gen ab an die angestammte Darmflora, das die Produktion von Enzymen ermöglichten, die den Seetang verdauen halfen – Horizontaler Gentransfer, und mittels Vertikalem Gentransfer wurde dann dieses Gen im Mikrobiom an die nächste Generation weitervererbt. Japanische Kinder sind von Anfang in der Lage, den (heute in der Zubereitung von Mikroben befreiten) Tang zu verdauen.

Schon während der Geburt besiedeln Mikroben der Mutter den Säugling. Die Muttermilch nährt nicht nur das Kind, sondern auch Mikroorganismen im Darm des Kindes, die ohne diese Nahrung verhungern würden. Später fördert eine vielfältige Ernährung die Vielfalt des Mikrobioms, wichtig für ein Gleichgewicht in der Symbiose von Mikroorganismen und Wirt. Gerät das Mikrobiom aus der Balance, redet die Medizin von einer Dysbiose, die für den Wirt eine Krankheit zur Folge haben kann. – Auch ein Korallenriff besteht aus einer grossen Mikrobengemeinschaft, die aus dem Gleichgewicht geraten kann. Meist steht der Mensch am Anfang dysbiotischer Entwicklungen eines Korallenriffs, die Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten erforscht haben, so dass man heute prinzipiell weiss, mit welchen Interventionen man die Korallenriffe schützen könnte.

Ed Yong gibt ein (eher noch rares) Beispiel für erfolgreiche Mikrobiom-Manipulation: Agronomen hatten für die australischen Rinder die proteinreiche mittelamerikanische Pflanze Leucaena als ideales Nahrungsmittel ausgemacht. Der Haken: Leucaena enthält Mimosin, ein für die Rindviecher unverträglicher Giftstoff. Zufällig entdeckt ein Forscher, dass Ziegen ohne Probleme Leucaena fressen, dank eines Mikroorganismus’, der Mimosin abzubauen und unschädlich zu machen vermag. Es gelang, den Mikroorganismus in Rindermägen anzusiedeln – seither kann die Pflanze problemlos verfüttert werden.

Yong gelingt es zumeist, in für das Zielpublikum – den interessierten Laien – adäquater Weise die Geschichte von der Entdeckung des Mikrobioms anschaulich zu erzählen und mit unterhaltsamen Anekdoten anzureichern. Gelegentlich mag allerdings die Fülle der auf die immer selben Prinzipien zurückgehenden Fallbeispiele etwas ermüden. Im Erzähleifer unterstellt der Autor den Mikroben gern Intentionen, statt sie in ihrer Funktionalität zu beschreiben.

Möglicherweise werden die Implikationen der Mikrobiom-Entdeckung von Yong auch etwas hoch gehängt, verständlich wenn man sich derart intensiv mit dem Thema auseinandersetzt. Aber zweifellos handelt es sich beim Mikrobiom um einen überaus bedeutsamen und lange vernachlässigten Teil (manche reden gar von einem Organ) des Menschen, von Leben überhaupt – Yong schildert auch viele Beispiele aus der Tierwelt. Der Autor betont die Komplexität der Zusammenhänge, in vielerlei Hinsicht beginnen wir erst allmählich zu verstehen, wie die „Vielheiten“ unser Leben und unsere Umwelt prägen und bestimmen.

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