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Besprechung für Von Berlin nach Jerusalem und zurück

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Dies ist eine Biographie Gerschom Scholems, aber eine mit einem sehr spezifischen Fokus: sie zeigt den Kabbala-Forscher „zwischen Israel und Deutschland“. Wenig erfährt man über das Werk Scholems, oder seine beiden Ehen, aber auch der Jerusalemer Alltag wird nur knapp gestreift. Der Biograph interessiert sich vornehmlich für Scholems kompliziertes Verhältnis zu Deutschland und der deutschen Kultur, und wie er nach dem Holocaust die Verbindung neu herstellt.

Scholem war im Alter von 25 Jahren nach Jerusalem emigriert und hatte sich dort eine wissenschaftliche Karriere aufgebaut, als Professor für jüdische Mystik an der Hebräischen Universität. Scholem stand der sich Deutschland assimilierenden Kultur seiner jüdischen Berliner Herkunftsfamilie kritisch gegenüber. Dennoch wurzelte Scholem in der deutschen Kultur; auch wenn das Hebräische, das er sich im Studium erst aneignen musste, für seinen Zionismus zentral war, publizierte er viele seiner wichtigsten Schriften zuerst auf Deutsch. In seinem Habitus erinnerte er an einem deutschen Professor aus der Vorkriegszeit, und bei Bedarf konnte er auch berlinerisch schnoddrig sein.

Die Migration nach Palästina und die Hinwendung zum Hebräischen markiert eine Distanz zu Deutschland. Man hätte vielleicht erwarten können, dass der Holocaust diese Distanz unüberbrückbar werden lässt. Vielleicht aber vermochte Scholem eine Wiederannäherung gerade zu realisieren, weil er die Assimilation seiner Vorfahren kritisch sah, eher als Aufgabe der jüdischen Identität denn als Resultat eines Austauschs zweier Kulturen. Es galt, den Dialog neu zu beginnen. Scholem ging behutsam und differenziert vor, wie die Geschichte um den Eranos-Kreis zeigte. An den jährlichen Treffen in Ascona nahmen auch C.G. Jung und Mircea Eliade teil, die mindestens eine gewisse Affinität zu antisemitischen Positionen aufwiesen. Scholem setzte sich damit auseinander, ohne vorschnell Druck von israelisch-jüdische Seite nachzugeben und die Beziehung zu Eranos abzubrechen.

Zadoff analysiert das Zerwürfnis Scholems mit Hannah Arendt anlässlich der Publikation von „Eichmann in Jerusalem“, und konstatiert bei aller Polemik des Austausches eine Nähe der beiden Kontrahenten: Arendt und Scholem waren in der deutschen Kultur verankert, und suchten nach Wegen, nach dem Holocaust mit den Deutschen im Dialog zu bleiben. Allerdings war Scholem – anders als Arendt – zugleich in Israel und im Judentum verwurzelt, und er verzieh Arendt die mangelnde Liebe zum jüdischen Volk (Ahavat Jisrael) nicht, die er in ihrer Diagnose der jüdischen Mitschuld am Holocaust zum Ausdruck kommen sah.

Scholem begann in den 1960er Jahren bei Suhrkamp zu publizieren; Verlagsleiter Sigfried Unseld, mit dem Scholem hunderte von Briefen wechselte, kommt eine wichtige Rolle zu bei der Etablierung Scholems als eine intellektuelle Ikone in Deutschland, der über die Jahre mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde. Scholem wurde ein Teil der Suhrkamp-Kultur, er stand in engem Austausch mit Adorno, mit dem zusammen er das Werk des Freundes Walter Benjamin den Deutschen zugänglich machte. Ganz am Ende seines Lebens wurde Scholem Mitglied des Wissenschaftskollegs zu Berlin, er kehrte als hochverehrter Akademiker in seine Geburtsstadt zurück.

Zadoff geht sehr gründlich vor, er schöpft aus vielen Quellen, und seine Argumentationen wirken meist ausgewogen und leuchten ein. Das Verhältnis Scholems zu Deutschland ist komplex, und es ist verdienstvoll, dass Zadoff sich ausführlich damit befasst.  Zuweilen hat das Buch allerdings den Charakter einer Auslegeordnung; eine Verdichtung und eine engere Anbindung an andere Motive aus Leben und Werk hätten „Von Berlin nach Jerusalem und zurück“ zum Vorteil gereicht.

 

 

 

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