Kapitel „Der Frühling“
Man kann das Grundgerüst von «Der Frühling» als einfache Geschichte lesen, ein Junge verliebt sich in ein Mädchen, das wohlbehütet in einer Villa aufwächst. Der Junge, Józef, bewundert Bianka, das Mädchen, erst aus der Ferne, dann scheint ihm aber der Zutritt zur Villa gewährt zu werden, oder er erzwingt ihn sich beim Vater Biankas, die sich als launiger Teenager entpuppt, und am Ende statt Józef dessen Freund Rudolf erwählt.
Aber… auch einfache Geschichten haben ein Unterfutter, eine Nachtseite, ihre Metaphysik. Und die entfaltet der Ich-Erzähler in prächtigen, wortreichen Girlanden. Rudolf bezichtigt Józef des Übertreibens und Flunkerns, der Prahlerei und der Mystifikation – völlig zurecht, muss man als Leser sagen! An Rudolfs Briefmarkenalbum entzündet sich Józefs Phantasie, greift weit aus in Raum und Zeit, hängt Bianka eine kaiserlich-königliche Herkunft an. Vor allem aber überwuchert der Frühling, in dem sie statthat, das Grundgerüst der Geschichte mit seinen Gerüchen, Farben, Gestalten, mit seiner Dialektik von modrigem Untergrund und sich neu entfaltendem Leben, mit rauschhaften, traumgleichen Nächten.
Als Pointe stellt sich heraus, dass Józef vergeblich versucht hat, sich die Magie des Frühlings dienstbar zu machen, dessen phantastische Manifestationen auf sein «Programm» mit historischen Interpretationen und Figuren, und vermutlich auch auf die Liebe Biankas hin zu deuten und zurecht zu biegen. Er hat aber den nicht einzuhegenden Text des Frühlings falsch gelesen, „usurpiert“, die Geschichte widerlegt ihn am Ende.
Als Józef sich in der traumartigen Schlussszene selbst richten will, wird er – gerade noch rechtzeitig – verhaftet, und zwar wegen eines Traums, des „Standardtraums des biblischen Josephs“; Traum einer Selbstanmassung?