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Besprechung für Das Sanatorium zur Sanduhr

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

„Das Sanatorium zur Sanduhr“ ist ein im polnischen Original 1936 publizierter heterogener Verbund von Geschichten, von unterschiedlicher Länge und auch Qualität. Was hält die Erzählungen zusammen? Der Ich-Erzähler Józef handelt von einer Jugendliebe, den Jahreszeiten, vom Erwachsenwerden, ohne darüber eine kindlich-phantastische Perspektive preiszugeben, mit tausenderlei Imaginationen. Im Zentrum aber steht seine Familie. Der Vater ist Seidenhändler mit eigenem «unergründlichen» Laden, der in der «toten Saison» wunderbar portraitiert wird, und mit ausgeprägten Sensibilitäten, die ihn zur Verwandlung in – beispielsweise –  eine Fliege veranlassen. In der Titelgeschichte ist der Vater verstorben, lebt aber in einem Sanatorium weiter und wird von seinem Sohn in diesem Schattenreich besucht. Als heimliche Hauptfigur aber könnte man die Haushälterin Adela bezeichnen, Köchin und Hüterin des begehrten Himbeersafts. Sie scheint mit der notwendigen Portion Lebenstüchtigkeit – kein ausgesprochenes Kennzeichen der anderen Familienmitglieder – ausgestattet, und zieht allerlei erotische Projektionen auf sich.

Es ist ein Buch der Aussenseiter, die über den Rand hinaussehen, die Welt anders lesen und interpretieren. Bei Bruno Schulz heisst Interpretation Extrapolation ins Extreme. In diesen Erzählungen sind wir in einem Gewächshaus der Phantasie, mit überwältigenden, hypertrophen Formen, Farben, Gerüchen, Assoziationssprüngen, und vielfältigen Akteuren: Pflanzen, Tiere, Fabelwesen, Wetterelemente, «Miasmen», Lebende und Tote, biblische Motive, historische Figuren (Franz Joseph I.!), Diebe und Idioten, «Velozipede» und technische Geräte, alle haben ihre Auftritte.

Nicht alle Geschichten des Hauptteils und und der abschliessenden «Verstreuten Werke» halten das hohe Niveau, das etwa die längste Erzählung «Der Frühling» vorgibt, oder die fabelhafte, kurze Groteske «Mein Vater geht zu den Feuerwehrmännern», mit hübscher Pointe am Schluss. Wenn von einer Alltagsszene ausgehend «das Unterfutter», die Nachtseite, die Naturelemente die Regie übernehmen, dann spielt Bruno Schulz seine Stärken aus, in dichter, auch anspruchsvoller Prosa, die sich von Kafka emanzipiert, der in einigen Motiven und lakonischen Wendungen als Einfluss erkennbar ist. Viele Sequenzen weisen die Charakteristik und verquere Logik von Träumen aus. Sehr schön sprachlich gestaltet allerdings auch das vergleichsweise geerdete Portrait des Dorfidioten Dodo.

Aus dem Nachwort erfahren wir, dass Schulz die untypische, im Anhang wiedergegebene Idylle „Heimat“ 1937/38 schweren Depressionen abgerungen hat, unzufrieden fristet der Maler und Schriftsteller sein Dasein als Lehrer, am Horizont zeichnet sich die Katastrophe des zweiten Weltkriegs ab. Seine Erzählungen zeugen auch von der von den Nazis vernichteten jüdisch-galizischen Welt. Bruno Schulz selbst wird im November 1942 von einem SS-Soldaten erschossen.

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