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Besprechung für Die Cultur der Renaissance in Italien

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Auch nach mehr als 150 Jahren bietet dieses Buch viel Stoff zum Nachdenken. Woher rührt diese Vitalität? Sie ist das Resultat einer unermüdlichen Arbeit, die thematisch sehr breit angelegt ist und sich auf eine Unzahl von Quellen stützt. Über viele Seiten referiert Burckhardt im Wesentlichen diese Quellen; das könnte den Leser ermüden, zumal sich gerade im ersten Abschnitt, «Der Staat als Kunstwerk», die Szenarien von Betrug, Brutalität, und Brudermord in einem fort wiederholen. Er beschreibt den Weg zu einer verbesserten Administration und Lenkung der Staatsgeschicke (wobei das nicht zwingend Gräueltaten hindert oder auch nur mindert). Burckhardt misst der «Statistik» in diesem Prozess eine grosse Rolle bei, der Erfassung von für die Staatsführung relevanten Daten.

Der Leser langweilt sich nicht, weil Burckhardt dank der Vielzahl von Quelle eine Dichte der Erzählung erzielt, die einem die italienische Renaissance auf unvergleichliche Weise näherbringt. Burckhardt handhabt sein Material souverän, in zweifacher Hinsicht: Geschickt ordnet er die vielen Einzelgeschichten zu einem Gesamtbild, aber er urteilt und kommentiert auch pointiert und zupackend, zuweilen vielleicht auch selbstherrlich. Natürlich wirken manche Aussagen als heutiger Perspektive politischer Korrektheit wie aus der Welt gefallen; aber das beeinträchtigt die Substanz des Buches kaum und trägt – mit der nötigen Distanz gelesen – zum Charme des Buches bei. Es führt auch vor Augen, wie zeitverhaftet wir alle sind in unserer Wahrnehmung.

Burckhardt ist nicht nur Historiker. Er bezieht Kunst, Psychologie, Religion, und vor allem auch Literatur in seine Überlegungen mit ein, der er einen grossen Vorsprung einräumt gegenüber der italienischen Malerei in der Reflexion der neuen Lebensrealität. Dante ist sein Kronzeuge für die Herausbildung eines Individualismus’, auch wenn er noch mit dem Jenseitsglauben operiert, der dann zunehmend in Frage gestellt wird. Burckhardt widmet den letzten Abschnitt dem Glauben und Aberglauben in all seinen Facetten, die den Verlust der zentralen Autoritätsrolle der christlichen Kirche reflektieren, verursacht nicht zuletzt durch das Gebaren der kirchlichen Würdenträger selbst.

Auch Macchiavelli wird viel zitiert, nicht nur im Abschnitt über die Staatskunst. Zentral für die Entwicklung der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert ist nach Burckhardt die Wiederentdeckung der Antike (und die Geringschätzung des Mittelalters). Italien zeichnet sich aber in der Epoche durch eine Vielzahl von Kontakten aus, beispielsweise zur islamischen Welt. Spanischen Einflüssen auf Italien steht Burckhardt in einer etwas merkwürdig anmutenden Haltung durchweg sehr negativ gegenüber. Nicht recht schlüssig scheint auch die Argumentation, warum es im fortschrittlichen, den modernen Menschen hervorbringenden Italien nicht zur Reformation kam, sondern im Norden. Wenn fortschrittliche Entwicklungen in der Renaissance steckenblieben, dann schiebt Burckhardt die Schuld gern telquel auf die Gegenreformation.

Ein eigener, heute würden wir sagen: soziologischer Abschnitt ist der Geselligkeit und den Festen gewidmet, da geht es um Moden, um die Stellung der Frau, die Burckhardt in mancherlei Hinsicht gleichberechtigt sah, oder etwa um das Landleben. Die Beschreibung der Entdeckung der (schönen) Landschaft als Ressource ist eine der vielen Nebenaspekte, die das Buch so faszinierend machen.

Bei aller Breite des Ansatzes einer totalen Geschichtsschreibung gibt es auch blinde Flecken. Wirtschaftliche Zusammenhänge werden zwar hin und wieder thematisiert, aber insgesamt vernachlässigt (man kann natürlich fragen, inwieweit sie zu einer «Culturgeschichte» gehören). Es fehlt auch eine explizite Diskussion der Methodik und der Zielsetzung dieses «Versuchs», aber diese Selbstverständlichkeit verstärkt anderseits nur wieder die Anziehungskraft dieses grossartigen Wurfs.

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