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Besprechung für Lieben

Julia_kersebaum Keine Kommentare
Besprechung:

„Ich sucht nach einem Ort zu sterben.“ – sucht und findet Leben.

Auf 120 übersichtlichen Seiten stolpert „Ich“ durch Vergangenheit, Gegenwart und Ende. Teilweise Werkschau – wir finden wiederkehrende Motive aus den vorhergegangenen Espedal Büchern – teilweise Schreibübung.

Die Erzählung funktioniert hervorragend, an den rückblickenden und zeitraffenden Stellen – zusammengefasst werden nicht nur die letzten 12 Monate seit dem Beschluss zu sterben, sondern „Ichs“ ganzes Leben. Hier ist die Sprache Espedal-typisch sensibel, die Perspektive uneingeschränkt subjektiv, die Handlung unaufhaltbar gradlinig.

 

Von der Erzählung losgelöste Diskussionen hingegen, zeigen sich holprig – die Kreisbewegung der Diskussion, die vielleicht wie ein Strudel funktionieren soll, ist eher mühsam.

Der Bruch zwischen den zwei Ebenen sowohl formal, wie auch im Lesefluss, unschön.

Bestes Beispiel (s.74) – wir beginnen mit der Erkenntnis „Der Alkohol löst das Problem mit der Zeit: Wer trinkt, entleert seine Tage von Zeit“. – selten eine treffender Beschreibung gelesen – Lebenszeit und wahrgenommene Zeit als Last bieten in wenigen Worten den Kern der Erzählung auf. – Absatz – eine kurze Diskussion von „trinken und Leben“ – hier bewegt sich der Text auf einem Level jenseits von Dekonstruktion und hin zum Klischee („Wer dem Tod nahe war, weiss, wie schön das Leben ist“).

 

Ich will sterben und hat doch gar keinen Grund dazu, wie wir lernen – in den letzten 12 Monaten, seit seinem Beschluss den Tod zu suchen, hat er einen regelrechten Neustart erfahren (und ist doch immer noch derselbe). Und eigentlich fehlt ihm auch die Zeit dazu – denn da gibt es all die Verantwortungen (Rasenmähen, Kind), all die Erfahrungen (Stadtwanderung), all die Annäherungen (Mutter, Aka) – die erlebt und gelebt werden wollen.

 

Spätestens wenn „Ich“ am Ende vor dem Entschluss zu springen steht, wird klar, dass „Ich“ auch „Er“ sein könnte und die Wahl von Personalpronomen und Erzählperspektive nicht mehr ist als Bruch und Spielerei (man fragt sich, ob die Norwegische Sprache vielleicht mehr Spielraum bietet). Auch das ein wenig mühsam. Am Ende bleibt „Ich“ doch „Ich“ – ungeachtet all der neuen und alten „Lieben“.

 

Espedal bleibt fragmentarisch, in Erzählstruktur und Sprache – vielleicht hätte dem Text ein wenig mehr Dekonstruktion nicht geschadet.

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