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Besprechung für Helgoland

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Die Quantenmechanik ist beinahe hundert Jahre alt.  An ihrem Ursprung steht Werner Heisenberg, der in einem Urlaub auf Helgoland einen wichtigen Gedankenschritt zu der Theorie machte. Bis heute ist die Interpretation der Quantenmechanik umstritten; nicht umstritten ist ihre (durchaus erfolgreiche) Anwendung in der Praxis.

Rovelli ist der Begründer der Relationalen Quantenmechanik, und er legt die Vorteile dieses Ansatzes dar: er kommt (auf den ersten Blick) ohne metaphysische Annahmen und wirr anmutende Folgerungen wie die «Viele-Welten»-These aus, in der sich die Welt unentwegt verzweigt, weil alle potentiellen Verhaltensweisen von Elementen sich realisieren. Er weist diese These entschieden zurück mit dem Argument, dass es keinen Standpunkt «ausserhalb» gibt, von dem sich mehrere Welten denken lassen.

«Helgoland» ist das Buch eines Physikers. Aber es hat eine stark philosophische, eine literarische, eine politische, eine (evolutions-)biologische und auch eine schwach autobiographische Komponente. Das macht das Buch überaus lesenswert, und es führt uns das Netzwerk und die Relationen vor Augen, in die wir immer eingebunden sind und von denen das Buch im Wesentlichen handelt. Vielleicht leidet der Fokus auf die spezifisch physikalischen Fragestellungen ein wenig darunter? Aber das Zielpublikum sind Laien, und da wäre es wohl für dieses Zielpublikum wenig ergiebig, den Formeln und ihren Implikationen (die Rovelli eher in den Anhängen erläutert) in allen Verästelungen nachzugehen.

Die Quantenmechanik, so wie sie Rovelli interpretiert, scheint eine weitere Kränkung für den Menschen mit sich zu bringen: wir existieren nur in Beziehungen zu anderen Objekten, für sich genommen ist ein Objekt, wäre auch der Mensch: nichts. Nicht (nur) in einem psychologischen, sondern in einem strikt naturwissenschaftlich-physikalischen Sinn:  nur wenn sich ein Objekt auf ein anderes bezieht (und ein Dritter das beobachtet), lassen sich Eigenschaften beschreiben. Sonst bleiben die Eigenschaften in der Schwebe. Sie manifestieren sich nicht.  Wir vernachlässigen dabei, dass der Mensch selbst ein ganzes System von Elementen/Objekten ist. Der Autor problematisiert die  Verlegung der Quantenmechanik-Gesetze aus der Mikro- in die Makrowelt nur am Rande.

Rovelli würde wohl argumentieren, dass uns die Quantenmechanik keine Kränkung zufügt, sondern eine – vielleicht etwas schwindelerregende – Verzauberung der Welt bewirkt, und eine Entlastung mit sich bringt. Dass Eigenschaften nicht einer Substanz anhaften, macht die Welt «luftig».

Sukkurs für sein luftiges Weltbild findet Rovelli bei den Vorsokratikern (Demokrit und Empedokles) und vor allem beim indischen Buddhisten Nagarjunga (2. Jahrhundert), der die Suche nach einem Fundament, nach einer Essenz buchstäblich ins Leere laufen lässt.

Der Autor arbeitet eher mit Analogie und Assoziation als mit stringenter, lückenloser Argumentation. Er provoziert gern: ziemlich zu Beginn wirft er ein, dass gemäss Quantenmechnanik die Welt nicht determiniert ist. Reichlich isolierte Behauptung; erst später kommt er darauf zurück: ein Informationsgewinn eines Aspektes eines Objekts geht immer mit dem Informationsverlust eines anderen Aspektes einher. Diese Unschärfe verunmöglicht es, aus der Gegenwart die Zukunft abzuleiten.

Rovelli sieht eine Analogie von wissenschaftlichem Fortschritt und der Sehfunktion des menschlichen Auges: Wir reproduzieren im Gehirn, was wir erwarten; erst wenn sich etwas Unerwartetes zeigt, melden die Sehorgane dies an das Gehirn. Dann versucht das Gehirn den neuen Eindruck zu verarbeiten. In der Quantenmechanik zeigt sich etwas höchst Unerwartetes, das wir erst verarbeiten müssen: Sein Buch hilft uns dabei und regt an zum Nachdenken darüber, was es denn in den verschiedenen Sphären unseres Daseins bedeuten könnte, wenn nur in den Beziehungen zwischen den Objekten sich Wirklichkeit konstituiert und nichts und niemand «ausserhalb» stehen kann.

Der Autor lässt den Laien mit manch offenen Fragen zurück, vielleicht auch weil die eine oder andere Formulierung nicht sehr präzise ist; schwierig zu entscheiden, wo das einfach der Natur des Untersuchungsgegenstands geschuldet ist. Dafür hängt er der Tugend der Kürze an, sein gedankenreiches Buch umfasst gerade mal etwas mehr als 200 Seiten.

 

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