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Besprechung für Noise

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Das Thema ist spannend: sehr oft werden wir in einer Beurteilung beeinflusst, ohne dass wir uns darüber Rechenschaft ablegen.

Die Autoren gehen systematisch vor: sie unterscheiden zwischen Bias (systematische Verzerrung) und verschiedenen Arten von Noise (situative Verzerrung). Während Bias häufig entdeckt und diskutiert wird, bleibt Noise eher unter dem Radar.

Die Autoren diskutieren quasi pausenlos Studien, die den Einfluss von Noise belegen. Das ist ein wenig ermüdend, weil die Mechanismen sich wiederholen: Richter beurteilen analoge Fälle sehr unterschiedlich, Versicherungsagenten setzen unterschiedliche Prämien an.

Faszinierend immer wieder die Beispiele, wie leicht wir uns beeinflussen lassen, auch wenn man die Muster teilweise schon kennt, beispielsweise aus der hervorragenden Studie «Behave» von Robert Sapolsky: durch ein gutes oder schlechtes Resultat des lokalen Fussballteams, durch willkürlich vorgelegte Zahlen, wenn es um eine Preiseinschätzung geht. Die erste Meinungsäusserung, beispielsweise in der Diskussion von Job-Kandidaten, ist von nicht zu überschätzender Bedeutung für den Entscheid, wer angestellt wird. Wenn Personen eine Einschätzung abgeben müssen, dann weisen die Resultate eine signifikant höhere Konsistenz aus, wenn die Beurteilung strikten Regeln folgt, als wenn sich Menschen teils auf Regeln, teils auf ihre Intuition verlassen, die – müsste man aufgrund des Buches schliessen – einen viel zu guten Ruf geniesst.

Die Autoren fokussieren darauf, wie sich Noise verhindern lässt in Firmen oder Organisationen, die die Verzerrungen gern unterschätzen oder gar ausblenden. Es wird durchaus auch erörtert, wo Noise allenfalls positive Auswirkungen haben könnte, allerdings nur, um die Argumente dann kurzerhand aus dem Weg zu räumen. Das wirkt an der Oberfläche überzeugend und ist sicher auch verdienstvoll, aber es wäre schon spannend, etwas mehr über das (evolutionäre) Zustandekommen und die Funktion der Verzerrungen im Alltag zu erfahren.

Zu wenig hinterfragen die Autoren die eigenen Definitionen (Beispiel: Abgrenzung von stable pattern noise zu bias), oder inwiefern die Studien selbst von der Anlage, ihrer Methodik her anfällig sind für Verzerrungen (Beispiel: verschiedene Formen von Noise können sich im Endresultat aufheben).

Immerhin, das Bewusstsein für Verzerrungen in unseren Urteilen und Einschätzungen wird geschärft; man wird beispielsweise die Punkte-Vergabe bei Weinen noch etwas kritischer betrachten wollen. Und natürlich fragt man sich auch selbst, wie die eigene Beurteilung dieses Buches zustande kommt, wie viel bias und noise da mitschwingen.

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