Besprechung für Übungen im Fremdsein
Das Engagement Olga Tokarczuk geht nahtlos aus ihrer Poetik hervor, die der Fremdheit, der Exzentrität, der Diversität, dem Detail, der Heterodoxie verpflichtet ist: nicht, weil das einem politischen Programm entspricht, sondern weil es der ihr adäquate Modus ist, die Welt zu erfassen, zu beschreiben, sich in ihr zurecht zu finden. Wenn daraus politische Maximen – uneingeschränktes Recht auf Migration beispielsweise – abgeleitet werden, dann mag das allerdings zuweilen unbedarft klingen.
Die Essays lesen sich dennoch mit Gewinn, weil Tokarczuk enthusiastisch und freigiebig ihre Erfahrungen mit uns teilt und intime Einblicke in die Autorenwerkstatt ermöglicht. Sie gerät in eine Art Trance, wenn sie sich in einen Stoff wie den der «Jakobsbücher» versenkt. Dann beginnen im Alltag die unscheinbarsten Dinge zu ihr zu sprechen und eröffnen neue Aspekte der Geschichte oder Wege für den Plot. Das leuchtet dem Leser sofort ein: so kann er sich die über 1200 Seiten nicht nachlassende erzählerische Dichte des Romans erklären.
Schlüssig dann auch, dass sich die studierte Psychologin Tokarczuk entschieden gegen die Vorstellung eines monolithischen, autonom handelnden Subjekts stellt. Wir sind immer eingebunden in unsere Umwelt, in permanentem Austausch. Ein abgekoppeltes, festgelegtes «Ich» verhindert die Durchlässigkeit, die uns ermöglicht, den Reichtum der Welt wahrzunehmen und in einen umfassenden Zusammenhang zu bringen, in einem «ultrasynthetischen Erkenntnisprozess» oder der «Ognosie», wie Tokarczuk ihr ambitiöses Verfahren nennt.
Die Essays sind über die Jahre und aus verschiedenen Anlässen entstanden; da ist es verständlich, dass sich Wiederholungen einschleichen. Die Passagen zum Elend des touristischen Reisens im Titelessay sind nicht besonders originell, auch anderswo liefert Tokarczuk etwas wohlfeile Kulturkritik (Stichwort Autoren-Marketing). In der Summe aber ein empfehlenswertes Buch, das eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser faszinierenden Autorin ermöglicht.