Besprechung für Samuel Pepys
Samuel Pepys, mittellos gestartet, erarbeitet sich in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts eine einflussreiche Position im Amt für Marine der britischen Regierung, und ein – kleines – Vermögen. Er berät den König, wird Parlamentsmitglied und verkehrt mit wichtigen Adligen und Intellektuellen seiner Zeit. Die Ehe bleibt kinderlos, die Ehefrau stirbt früh. In den vielen Winkelzügen und Intrigen um Macht und Einfluss wird er irgendwann ausgebootet, behält aber – anders als einige Weggefährten – Leben, Hab und Gut, und stirbt mit 70 Jahren eines natürlichen Todes. Sein Ehrgeiz gilt in den letzten Lebensjahren seiner Bibliothek, die er dem Magdalene College in Cambridge vermacht, wo er einst studiert hatte.
Ein ansehnlicher, aber kein spektakulärer Lebenslauf, dem kaum eine Autorin des 21. Jahrhunderts eine Biographie widmen würde, wenn Pepys nicht selbst zehn Jahre davon in unfassbarer Offenheit und Detaillierung erzählt hätte. Wie kam Pepys zum Entschluss, sein Leben weitgehend ungeschönt darzustellen, so dass er selbst immer wieder in ziemlich zweifelhaftem Licht erscheint? Tomalin weist darauf hin, dass er für diese Art von Tagebüchern kaum ein Vorbild gegeben hatte. Sie hebt zurecht die Energieleistung hervor, die ein solches vieltausendseitiges Tagebuch erst ermöglicht. Über zehn Jahre deckt Pepys ein weites Spektrum von Themen ab, vom Krieg mit den Holländern über den Pestausbruch und das grosse, verheerende Feuer in London hin zur täglichen Büroarbeit (mit mühseligen Kollegen), dem Singen und Musizieren, den täglichen Routen durch die Hauptstadt, den vielen erotischen Abenteuern, den Sorgen und Freuden im Haushalt und Verdauungsbeschwerden. Faszinierend, wie grosse politische Themen und kleine, private Ereignisse sich überlappen – wie im richtigen Leben halt.
Tomalin sieht die Motivation für die Tagebücher im Interesse Pepys für sich selbst; daher rührt auch der Titel, «The Unequalled Self». Tatsächlich sind die vielen und auch kritischen Selbstbeobachtungen bemerkenswert, die sich in den Tagebüchern finden, wenn er eigene Emotionen oder Taten registriert. Aber sind diese Selbstbeobachtungen nicht einfach Ausdruck einer unersättlichen und bemerkenswert vorurteilsarmen Neugierde, die sich auf alle möglichen Gegenstände und Personen bezieht? Nicht umsonst wurde Pepys Mitte der 1680er Jahre Präsident der 25 Jahre zuvor gegründeten Royal Society, in der die wissenschaftlichen Entdeckungen der Zeit diskutiert wurden. Tomalin nennt Pepys Interesse sich selbst gegenüber «wissenschaftlich»; jedenfalls nimmt er eine bemerkenswerte, zuweilen distanzierte Position zu seinem Selbst ein.
Es ist eine etwas undankbare Aufgabe, das Leben eines Mannes zu erzählen, der das selbst in unvergleichlicher Manier über zehn Jahre getan hat. Tomalin zeigt Geschick bei dieser Aufgabe. Sie fasst wesentliche Aspekte des Tagebuchs in einzelnen Kapiteln zusammen. Ihre Ergänzungen und psychologischen Mutmassungen über Motive und Hintergründe erscheinen (meist) plausibel. Bemerkenswert nüchtern schätzt sie die vielen sexuellen Eskapaden von Pepys ein, auch wenn sie Aggression und das Ausnutzen von Abhängigkeiten klar benennt.
Ein Spannungsabfall nach der Periode der Diaries ist in einer Biographie Pepys kaum zu vermeiden, auch wenn der Held anschliessend noch mehr als 30 Jahre – mit einer neuen Partnerin zusammen – gelebt hat, und weiterhin eine aktive Rolle auf der politischen Bühne gespielt hat. Die Dichte der Information, die Pepys uns zuvor liefert, ist auch durch sorgfältige Auswertung der vorhandenen Quellen und weitreichende Extrapolationen für die Zeit nach 1770 nicht zu erreichen.
Die grosse Frage, was Pepys zu seinem gewaltigen, pionierhaften Unterfangen bewegte, kann die Biographie kaum schlüssig beantworten. Es wird ein Zusammenspiel von verschiedenartigen Motiven gewesen sein, nicht zuletzt hat Pepys – auch ein hervorragender Redner im Parlament – seine Sprachlust ausgelebt, der die Autorin ein eigenes Kapitel widmet. Tomalins «Unequalled Self» ist jedenfalls eine bereichernde Lektüre für jeden, der sich mit den unerschöpflichen Tagebüchern von Pepys befasst.