Besprechung für Frau Jenny Treibel
Ein sommerlich leichter Roman, den man sich – wäre der fleissige Theaterkritiker Fontane auch ein fleissiger Dramatiker gewesen – auch als Komödie vorstellen könnte.
Jenny Treibel hat in das Besitzbürgertum eingeheiratet, und ist entschlossen, auch ihren zweiten Sohn Leopold standesgemäss zu verheiraten. Gefahr für diese Pläne droht ausgerechnet von der Tochter ihrer Jugendliebe, Gymnasiallehrer Wilibald Schmidt. Corinna Schmidt wickelt Leopold um den Finger und bringt ihn dazu, ihr einen Antrag zu machen. Jenny Treibel spricht sich – wie von den Brautleuten antizipiert – gegen die Verbindung aus, und damit ist deren Schicksal besiegelt. Leopold trifft Corinna nicht mehr, sondern schreibt ihr nur stereotype Briefe, in denen er lächerliche Fluchtpläne schmiedet und verspricht, sich gegen seine Mutter durchzusetzen. Corinna wird der Geschichte überdrüssig, zumal ihr Herz eigentlich dem Cousin Marcell gehört, der auf ein Zeichen von Corinnas Vater hin bei ihr vorstellig wird und sie wenig später heiratet. Weder Corinna noch der Autor verschwenden weitere Gedanken an Leopold, dem Corinna doch eigentlich die Ehe versprochen hatte.
Fontane überzeichnet die Figuren konsequent: die Gymnasiallehrer-Runde um Schmidt als Bildungsbürger, dessen Haushälterin Schmolke als Berliner Kleinbürgerin, Treibels als prächtige Familie mit grossbürgerlichen Ambitionen, mit der verbitterten Gouvernante Honig und der hochnäsigen, anglophilen Hamburger Schwiegertochter Helene, und im Zentrum die für Poesie und «das Höhere» schwärmende Jenny Treibel, der es aber im Grunde nur um Status und Geld geht. Geschickt inszeniert Fontane die aus den unterschiedlichen Interessenlagen resultierenden Spannungen in Dialogen, die teilweise satirisch überbelichtet und in Richtung Publikum gesprochen wirken. Die satirische Schlagseite verstärken etliche Nebenfiguren mit sprechenden Namen, von Vogelsang über Ziegenhals bis zu Kuh und Rindfleisch. Es gibt wenig Raum für Zwischentöne, der Plot bietet wenig Überraschung. Aber „Frau Jenny Treibel“ funktioniert als Unterhaltungsroman im besten Sinn. Man folgt der heiteren, souverän erzählten Geschichte gern und lernt nebenbei einiges über die Berliner Bourgeoisie Ende des 19. Jahrhunderts.
Diese Welt mag aus heutiger Sicht tief in der Vergangenheit liegen. Und man kann sich aus der Distanz über die exemplarische «Bourgeoise» Jenny Treibel mokieren, die nach «Höherem» strebt, aber vor allem – nach oben. Der Heldin wird ein «Talent zu Vergessen» attestiert, das es ihr erlaubt, bei Bedarf Aspekte auszublenden, die gerade nicht ins Bild passen. Der amüsierte Leser mag leicht vergessen, dass wir wohl alle in grösserem oder kleinerem Masse über dieses Talent verfügen, dank dem wir eine momentane moralische Konsistenz erreichen.