Besprechung für Das achte Leben
Das über fünf Generationen währende, von 1900 bis 2005 reichende georgische Familienepos ist geschickt in eine Rahmenhandlung eingewoben, in der die Tante für ihre Nichte Brilka die bewegte Geschichte der Familie nachzeichnet. Sie nimmt den Anfang mit der Urgrossmutter der Ich-Erzählerin, der Tochter eines vor den Revolutionswirren noch wohlhabenden Schokoladenfabrikanten. Die Familiengeschichte ist eng verwoben mit den Ereignissen der letzten Jahre im zaristischen Russland, mit der gesamten Sowjetzeit sowie dem jüngst wieder unabhängig gewordenen Georgien, zumal Mitglieder der Familie politisch einflussreiche Positionen innehatten und Kontakte zur Führungselite unterhielten.
Die Lektüre ist kurzweilig, der Schreibstil der Autorin ist überaus flüssig, auf den 1275 Seiten kommt keinerlei Lesemüdigkeit auf. Es ist verblüffend, wie viele Biografien auch von Nebenfiguren in dem Roman Platz finden. Im Vorbeigehen werden immer wieder Grossereignisse der jüngsten Weltgeschichte gestreift, seien es die Kubakrise, der Mauerbau, der Vietnamkrieg, Elvis, die Beatles oder die Ölkrise. Viele Protagonisten der Sowjetunion werden namentlich benannt, etwa Lenin, Trotzki, Chruschtschow, Breschnew, Tschernenko, Andropov, Gorbatschow oder der Georgier Schewardnadse – nur Stalin ist der Stählerne oder der Generalissimus, und seinem langjährigen Geheimdienstchef Beria, einer der zentralen Figuren im Roman, begegnet man immer wieder als dem grossen kleinen Mann.
Die Autorin geht in die Vollen. Die Familiengeschichte ist gespickt mit dramatischen Ereignissen, auch an detailliert geschilderter Brutalität lässt sie es nicht missen, Tragödien passieren auf allen Ebenen, dem Leser bleibt nicht viel erspart. Die Autorin ist wahrlich keine Weichzeichnerin, beschönigt wird da nichts, insbesondere was die Machenschaften der Sowjetelite angeht. Mitunter beschleicht einen das Gefühl, die Autorin habe eine Rechnung offen und setzt, was Grausamkeit, Ruchlosigkeit und Egomanie der Sowjetprotagonisten angeht, noch einmal eins obendrauf. Dennoch hat der Roman auch etwas Märchenhaftes, etwa in Form eines geheimnisvollen Rezepts für heisse Schokolade, das dem Geniesser schier Sinn und Verstand raubt.
Das Werk schlägt einen grossen Bogen, es ist geschickt konstruiert, aber eben: es ist eine Konstruktion, die als solche immer wieder durchschimmert. Die Geschichte ist zu gross, als dass das Gerüst, auf das sie sich stützt, unsichtbar bleiben könnte. Die Familiengeschichte ist unverkennbar um die historischen Ereignisse herumgestrickt.
Die Sprache ist gefällig, allerdings gefällt sich die Erzählerin in langen Satzkonstruktionen mit immer denselben wiederkehrenden Mustern, die auf die Dauer an Originalität einbüssen, den Lesefluss aber nicht beeinträchtigen. Ein wenig plump wirken die gelegentlich eingestreuten Passagen, in denen die Erzählerin ihre Nichte direkt anspricht und sie mit der einen oder anderen Lebensweisheit versorgt.
Es bleibt am Ende die Verblüffung darüber, wie eine so junge Autorin ein solches Monumentalwerk schaffen konnte.