SEITE: 119 ff. Moritz T. Keine Kommentare
Stelle:

The Darling

Anmerkung:

Saunders zeigt mit einer ausgeklügelten Tabelle, wie sich in „The Darling“ Muster wiederholen. Olenka verliebt sich immer wieder in den Nächstbesten, und ist solange aufgehoben in der Welt, bis der Geliebte stirbt oder verschwindet, und sie in Einsamkeit darbt, bis der nächste erscheint.

Er zeigt unsere Empfänglichkeit als Leser für die Wiederholung von Abläufen; wir finden uns in der Welt zurecht. Aber erst die Abweichung bereitet uns Vergnügen. Thema und Variation, oder bei Saunders, pattern and escalation. Saunders argumentiert, dass Chekhov vermutlich nicht nach einem strikten Plan vorgegangen ist, aber dass er als Künstler eben weiss, wie eine Geschichte funktioniert. Hier hätte sich ein kleiner Exkurs zu Beckett angeboten, der Geschichten auf Muster und (minimale) Abweichung reduziert, mit komischem Effekt; diese Grundstruktur ist bei Beckett überbeleuchtet, und dennoch funktionieren seine Geschichte. Beckett stellt die Abhängigkeit der Literatur (und des Lesers) von patterns bloss, er arbeitet explizit damit.

Schön arbeitet Saunders eine letzte escalation heraus, und zeigt damit, dass bei Chekhov jede Zeile zählt. Ganz am Schluss wird von einer Traumäusserung Sashas berichtet, das Objekt der letzten Liebe Olenkas, ein Schulknabe, der bei ihr wohnt. Im Traum fordert er jemanden auf zu verschwinden; auch im Alltag wehrt er die überbordende Liebe Olenkas ab, die sich aber davon nicht beeindrucken lässt. Vorher sieht der Leser Olenkas Liebesbedürfnis eher in einem positiven Licht; jetzt scheint sie egoistisch, nicht fähig zu einem Dialog.

Eine interessante Stelle der Geschichte schaut sich Saunders nicht genauer an: Wenn Olenka ohne Liebe ist, dann ist sie auch ohne Meinung; wenn sie liebt, übernimmt sie die Meinungen der Geliebten. Wir verhalten uns immer zu unserer Umwelt, und entwickeln Meinungen; so stehen wir im Austausch. Olenka reduziert ihre Existenz immer auf ein Minimum, wenn sie ohne Liebe ist. „And how terrible it is not to have any opinions!“ (p. 127)

 

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