Besprechung für How Religion evolved and why it endures
Die Immersion in die Um-Welt, das Aufgehen in einem grossen Ganzen entspricht einem Urbedürfnis. Menschen haben sich Rituale angeeignet, die diesen Zustand zu evozieren vermögen, beispielsweise über Tanz oder Gesang.
Menschen sind Gruppentiere; die gemeinsam durchgeführten Rituale verstärken das Gemeinschaftsgefühl. Aber wenn eine Gruppe zu gross wird, reichen Rituale nicht mehr, um aufbrechende Konflikte zu entschärfen: dann kommen die „doktrinären Religionen“ zum Einsatz, die mit einem Überbau (Götter, Vorschriften) den notwendigen Rahmen bieten. Die Furcht vor einem rächenden Gott und die Aussicht auf ein ewiges Leben sind stark Motivatoren.
Bei allem theologischen Überbau bleibt aber der Glutkern der Religionen das mystische Erleben. Das Gesetz der – auch für gemeinsame Rituale – idealen Gruppengrösse (bis ca. 150 Personen) bricht sich von Zeit zu Zeit Bahn. Einer der Gründe, warum sich aus grossen Religionen immer wieder eigenständige Sekten oder neue Religionen entwickeln.
So liesse sich Dunbars Text in wenigen Sätzen zusammenfassen. Er zeigt auch, wann (nach dem Neolithikum) und wo (schmaler subtropischer Breitengrad-Streifen) die doktrinären Religionen entstanden sind. Er trägt aus verschiedenen Disziplinen Wissenswertes zusammen; er macht eine manchmal etwas weitschweifige Auslegeordnung.
Dunbars Argumentationen leuchten weitgehend ein, allerdings vermisst man eine Zuspitzung auf vielleicht auch etwas spekulative Fragen: Woher kommt aus evolutionärer Perspektive unser fundamentales Bedürfnis nach Immersion und Gemeinschaftsgefühl? In welchem Verhältnis stehen sie zu Logik und Abstraktion? Ganz offensichtlich erschaffen wir einen Gott, und nicht ein Gott uns. Wie schaffen wir es, einen Gott lebendig zu halten?
Weil die Religionen mit Ritual und Immersion einem grundlegenden Bedürfnis entsprechen, werden sie allen Unkenrufen zum Trotz auch nicht so rasch verschwinden, meint Dunbar. Der theologische Wahrheitsgehalt ist da ganz offensichtlich sekundär und unterliegt früher oder später immer einem Wandel.