Besprechung für Klara and the Sun
Besprechung der deutschen Übersetzung „Klara und die Sonne“ (daher die Besprechung auch in deutscher Sprache):
Kazuro Ishiguro unternimmt mit seinem Buch „Klara und die Sonne“ ein interessantes Experiment, das an fundamentale Fragen des Menschseins rührt.
Im Vordergrund steht dabei die Ich-Erzählerin Klara, die eine Geschichte erzählt, die in und nahe einer amerikanischen Stadt in der Zukunft spielt und in der es die Aufgabe von Klara ist, eine kränkelnde Jugendliche, die etwas abgelegen zusammen mit ihrer Mutter und einer Haushälterin auf dem Land wohnt, zu begleiten und zu unterstützen. Es scheint gängig zu sein, dass Kinder und Jugendliche in Haushalten, die es sich leisten können, eine solche Art von Unterstützung zuteil wird.
Klara ist in hohem Masse beobachtungsgesteuert. Sie versucht, sich der Welt und den Menschen in ihrer Umgebung durch sehr genaue Beobachtungen zu nähern und sie geradezu zu erschließen, sie verfeinert ihre Fähigkeit, Situationen und Stimmungen zu interpretieren und in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen, immer weiter. Sie tut dies auf eine überaus analytische und nüchterne Art und Weise, ohne dabei gefühllos zu wirken – im Gegenteil, Gefühle von anderen und auch die eigenen sind in ihren Erwägungen ein wichtiger Aspekt. Es ist eine der Stärken des Romanes, das Analytisch-Nüchterne mit dem Zugewandten, Positiven, Gefühlsbehafteten zwanglos zusammenzubringen, als gäbe es keine Trennlinie.
Klara verfügt über einen überaus ausgefeilten Wahrnehmungsapparat, der allerdings spezielle, gesunden Menschen gänzlich unbekannte Eigenschaften hat, die ihre Wahrnehmung durch eine Art Brechung gelegentlich beeinträchtigen. Aber auch damit lernt Klara umzugehen.
Der Leser wird punktuell mit Dingen konfrontiert, die zunächst einmal unerklärt bleiben, nach und nach kommt aber mehr Licht ins Dunkel. Etwa ist immer wieder von KFs die Rede, ohne dass gleich aufgelöst werden würde, was genau sich dahinter verbirgt. Oder es werden gewöhnliche Wortkombinationen in Grossbuchstaben geschrieben, ohne die Motivation hierfür mitzuliefern (Interessante Magazine, Fahrende Glasvitrine, Violette Tür). Derartige Rätsel scheinen vom Autor ganz bewusst eingestreut zu sein und fügen sich stimmig in das Gesamtgefüge.
Hintergründig geht es um Fragen wie: Was macht uns Menschen aus, was gehört dazu, einen Menschen mit allen seinen Facetten zu verstehen? Würde es reichen, alles über einen Menschen zu wissen, um ihn wirklich glaubhaft nachahmen zu können? Oder gibt es einen Kern, ein Innerstes, das trotz umfassenden Wissens unerschlossen bleibt? Wie weit dürfen oder müssen wir gehen, um uns Menschen zu optimieren und technologische Hilfsmittel zu nutzen? Diese Fragen werden selten explizit aufgeworfen, die Reflexion darüber nimmt nicht einmal grossen Raum ein, sie werden gleichsam behutsam angetippt und schwingen im Hintergrund mit. Es werden keine abschließenden Antworten gegeben, es ist eher so, dass eine Tür zu einem Universum an Fragen aufgestossen wird, die letztlich dem Leser überlassen bleiben.
Der Roman ist grandios erzählt, die Dramaturgie meisterhaft durchkomponiert, die Sprache präzise, fein, klar, einfach, der Erzählstil hat etwas Minimalistisches. Dabei herrscht ein positiver, zugewandter Grundton vor, die Akteure gehen in aller Regel respektvoll miteinander um, ohne dabei schwelende oder offene Konflikte auszublenden.
Auch wenn man nicht jede Wendung in dem Roman nachvollziehbar oder glaubhaft finden muss, so besticht er doch durch seine fundamental neue Perspektive, seine Einfachheit und Klarheit, gerade wenn es um existenzielle Fragen geht.
Vermutlich sorgt tatsächlich Ishiguros einfache, präzise Sprache entscheidend dafür, dass der Leser der Geschichte Klaras gebannt folgt und über unwahrscheinliche Plot-Aspekte hinweg liest. – Auch mit grösserem zeitlichem Abstand beschäftigt man sich gern mit dem Buch, gerade weil es existenzielle Fragen eher beiläufig aufwirft und ohne definitive Antworten lässt.