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Besprechung für Lektionen

Bettina P. 1 Kommentar
Besprechung:

McEwans ambitionierter Roman schildert das Leben des Roland Baines, wobei den geschichtlichen Begebenheiten im Hintergrund fast ebenso viel Bedeutung beigemessen wird. Das Zeitgeschehen faltet sich detailreich auf – der Bogen spannt sich von der Kindheit in Libyen über die Kubakrise, Tschernobyl, dem Berliner Mauerfall bis zum Brexit. – Geschichtslektionen. Diese geraten zuweilen etwas langatmig und spiegeln sich nicht zwingend im Plot wider. Die Geschichte von Alissas Mutter Jane und ihrem Mann Heinrich im Umfeld der Weissen Rose erhält beispielsweise (zu) viel Raum. Und wie gelangt Baines just nach dem Mauerfall mitten ins Berliner Treiben? Hier wird dem Schicksal reichlich nachgeholfen, als Roland inmitten der feiernden Massen ausgerechnet seine davongelaufene Frau Alissa wiedersieht. Erzählerisch fällt die einseitige Perspektivierung auf. Alissa bleibt als Figur seltsam blass und ungreifbar, nie werden die Dinge aus ihrer Sicht beschrieben. Was geht in einer Mutter vor, wenn sie sich entschliesst, Mann und Kleinkind zu verlassen, um sich als Schriftstellerin zu verwirklichen? Schwer nachvollziehbar, wie rigoros sie ihren Sohn später vor ihrer Türe abweist.

Wunderbar stimmig und vielversprechend werden die ersten Takte des Romans angeschlagen. Wie der Elfjährige – das Kaninchen vor der Schlange – neben der übergriffigen Lehrerin auf dem Klavierschemel sitzt, die ihm buchstäblich ihr Mal aufdrückt. Wie er weiss, dass hier Unerhörtes geschieht und sich dennoch nicht zu wehren imstande ist. Nach dem Verschwinden seiner Frau denkt Roland in zahlreichen Rückblicken über sein Leben nach.

Meisterlich erzählt, wie er als Vierzehnjähriger die sexuelle Initiation mit der zehn Jahre Älteren erlebt, aus der Zeit gefallene Wochen des Begehrens, intensiv prägend und ewig unverarbeitet. Liebeslektionen. Von grosser Eindringlichkeit sind die Bilder, die McEwan für diese gegenseitige fatal attraction findet: Der Junge als Liebesspielzeug im Haus gefangen, im Schlafanzug, denn seine Kleidung und seine ganze Habe wurden weggesperrt, um ihn am Weglaufen zu hindern. An mehreren Stellen wird nur angetönt, wie verstörend sich diese frühen erotischen Machtspiele auf Rolands spätere – allesamt, vielleicht mit Ausnahme von Daphnes, gescheiterte – Liebesverhältnisse auswirken mussten. Gescheitert ist nebenbei so vieles in Baines’ Leben: statt Konzertpianist wird er nur Pianospieler in einem Touristenlokal, statt gefeierter Dichter Verfasser von originellen Grusskarten. Später werden die Dinge beim Namen genannt: Missbrauch, der nun gerichtlich verfolgt werden könnte. Roland verzichtet auf eine Anklage, sucht seine Lehrerin aber ein letztes Mal auf, um sie zur Rede zu stellen. Meisterlich diese Szene, in der sich die gealterten Liebenden versöhnlich milde zusammen betrinken – Lebenslektionen.

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Moritz T.

Schön die Beobachtung, dass Miriam Roland «ihr Mal aufdrückt». – Gegen Ende des Romans variiert McEwan das Motiv: Roland kneift sich bei zwei Trauerreden, die er kurz hintereinander halten muss, selbst in den Oberschenkel, um seine Emotionen im Zaum zu halten.
Ja, es sind mancherlei Lektionen, die im Roman erteilt werden. Historisch-politisch scheint im Rückblick die Lektion frappant, die dem Labour-Wähler Roland und der über-optimistischen europäischen Linken insgesamt nach dem Berliner Mauerfall erteilt wurde.  

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