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Besprechung für Lektionen

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Die «Lektionen» erzählen die Lebensgeschichte des musikalisch hochbegabten, literarisch ambitionierten Roland Baines, der sich  nach einem vorzeitigen Schulabgang ab Mitte der 1960er Jahre als Barpianist, Texter und Tennislehrer durchschlägt.

Der Plot des Romans weist einige eher unwahrscheinliche Wendungen auf: dass die überlastete britische Polizei nach drei Jahren den Helden immer noch des Mordes an seiner Frau Alissa verdächtigt, die ihn, durchaus Spuren hinterlassend, verlassen hatte, und dieselbe Polizei später im Roman nach mehr als vierzig Jahren einem Fall von sexuellem Missbrauch nachgeht. Das verleiht dem Roman eine Struktur, aber keine Glaubwürdigkeit. Oder dann die Irrfahrt des Helden nach Berlin, wo er höchst zufällig seine sich vor ihm verbergende Frau wiederfindet.

Vermögen diese Schwächen im Aufbau dem Roman etwas anzuhaben? Schon ein wenig, zumal  McEwans Schwäche für den Glanz der Geschichte (Weisse Rose, Blauer Reiter, Berliner Mauerfall) hinzukommt, mit der er allzu offensichtlich für die Verankerung der Handlung in der englischen und deutschen Zeitgeschichte sorgen will. Das wirkt aufgesetzt und unnötig.

Denn der Roman überzeugt mit seiner eigenen Geschichte, die stellenweise von grossartiger Intensität ist. Wie der Teenager Roland seiner Klavierlehrerin verfällt, ist hervorragend erzählt, die Geschichte einer erotischen Obsession, aus der sich Roland nur unter Aufbietung aller Kräfte lösen kann, und die ein Leben lang nachwirkt.

Im Gegensatz zu Miriam Cornell bleiben die anderen Frauen in Rolands Leben blass. Das ist ein Stück weit wohl auch im Sinne der Erzählung, die Klavierlehrerin überschattet alle späteren Beziehungen. Zunächst kaum greifbar beispielsweise Daphne, immerhin die langjährige Freundin und zeitweilige Partnerin Rolands. Etwas holzschnittartig wirkt die Vorgeschichte, mit der Alissas Ausbruch aus der Ehe mit Roland begründet wird; ihre Mutter hatte früh ihre literarischen Ambitionen aufgegeben, und sich zunehmend verbittert mit der mittelprächtigen Rolle als Ehefrau und Mutter abgefunden. Alissa entgeht diesem Schicksal und wird eine erfolgreiche Schriftstellerin, auf Kosten der Beziehung zu Mann und Kind, das Roland dann alleine aufzieht.

Aber abgesehen von dieser Plotlinie zählt es zu den Stärken des reichhaltigen Romans, dass er Zusammenhänge herstellt, und mögliche Kausalitäten in den Raum stellt, aber das Leben der Figuren nicht darauf reduziert. Stimmig in diesem Kontext die Überlegungen zu Schrödingers Katze, die die Hauptfigur hin und wieder anstellt. Könnte mein Leben auch anders verlaufen? Wie manifestiert sich eine Realität?

Die Erzählintensität der Episoden mit der Klavierlehrerin wird erst wieder erreicht, als Roland – schon an der Schwelle zum Alter – Daphne doch noch heiratet. Es entsteht ein – auch für die Roman-Balance – wichtiges Gegenstück zur Missbrauchsgeschichte: Endlich kann sich Roland von seiner (auch sexuellen) Rastlosigkeit befreien, es kommt zu einer Intimität und Nähe, die er so nicht gekannt hatte. Die tödliche Erkrankung Daphnes lassen die gemeinsamen Monate noch kostbarer erscheinen.

McEwan glänzt immer wieder mit einzelnen Beobachtungen und Formulierungen – er ist ein Meister von Wahrnehmungen aus dem Alltag. Er hält über die Dauer des ganzen Romans allerdings nicht die sprachliche Energie und Disziplin aufrecht, die «L’éducation sentimentale» von Flaubert auszeichnet, an der sich McEwan hier offensichtlich orientiert.

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