Die Geschichten Jaakobs
Markanter Kontrast: Behäbiger, fabel-hafter Ton, Erzählung aus der Tiefe der Vergangenheit – und zugleich verstörende Konzepte: Die Auflösung der Ich-Grenzen, das Ineinanderfliessen von Gegenwart und Vergangenheit, beispielsweise, oder der jüdische Gott als ein noch in Entstehung begriffenes Wesen.
Die Erzählung bewegt sich mal in grösseren, mal in kleineren Schritten vorwärts, durchaus nicht chronologisch. Wir erfahren zunächst von der innigen Liebe Jaakobs zu seinem Sohn Joseph, der sich bei seinen Brüdern unbeliebt macht. Wir lesen, wie Jaakob sich mit seiner Sippe bei Schekem niederlässt, und seine älteren Söhne die Entführung ihrer Schwester Dina durch den «Burgsohn» Schekems, Sichem, zum Anlass für ein Gemetzel an der Bevölkerung der Stadt nehmen. Jaakob lässt das geschehen; der Patriarch gibt das Heft aus der Hand.
Erst danach nimmt sich der Autor Zeit für eine ausführliche Rückblende in die Jugendzeit Jaakobs, in ausgesuchten Details seine Segnung durch Vater Isaak schildernd, und wie der Bruder Esau um eben diese Segnung betrogen wird, in Sätzen satt mit Sinn und Sinnlichkeit. Jaakob muss die Rache Esaus fürchten und flieht mit Hilfe der Mutter Rebekka, bei deren Bruder Laban er Asyl findet.
Der mittellos angekommene Jaakob erarbeitet sich mit Fleiss und Geschick eine Stellung an Labans Hof, die es ihm erlaubt, um die Hand der schwarzäugigen Rahel, seiner Cousine und jüngeren Tochter Labans, anzuhalten. Laban aber stellt langwierige Bedingungen und schiebt dann Jaakob zunächst die ältere, hässliche Tochter Lea unter. – Als er nach 25 Jahren wieder heimlich abzieht, nimmt Jaakob eine Grossfamilie und viel Vieh mit. Seine Liebe gilt aber fast ausschliesslich seiner zweiten Frau Rahel und seinem elften Sohn Joseph, den Rahel nach vielen unfruchtbaren Jahren unter grossen Schmerzen geboren hat.
Der Roman führt Konfliktszenarien zwischen den Generationen vor, aber vor allem zeigt er die Rivalität zwischen den Geschwistern, wobei der Startvorteil des Erstgeborenen wichtig, aber nicht immer entscheidend ist.
Der Gott Jaakobs, der Gott seines Vorfahren Abrahams, ist ein Gott einer kleinen Minderheit. Jaakob baut auf ihn, und schreibt ihm seine Fortune zu. Seine Ehefrauen Lea und Rahel schwanken noch im Glauben; die alten Hausgötter ihres Vaters Laban sind greifbar, man kann vor ihnen niederknien. Jaakobs Gott dagegen ist unsichtbar.