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Besprechung für Zwischen Welten

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Besprechung:

Juli Zeh und Simon Urban muten dem Leser einen Dialogroman zu, der ausschließlich aus Nachrichten über e-mail oder Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Telegram besteht. Sie kriegen damit deutlich über 400 Seiten ohne Weiteres gefüllt. Kann das gut gehen? Es kann.

Die Autoren haben die Geschichte nämlich geschickt konstruiert und dramaturgisch gekonnt durchkomponiert, und natürlich bedienen sie sich einiger Kniffs, die das Buch ausgesprochen lesbar und geradezu spannend machen. Einer dieser Kniffs ist, dass beide Protagonisten, Stefan, ein leitender Journalist der größten Wochenzeitung in Deutschland, und Theresa, die Chefin eines kleinen landwirtschaftlichen Biobetriebs in Brandenburg, gut und auch in den unmöglichsten Situationen atemberaubend schnell schreiben können und in ihrem (mitunter über-)fordernden Alltag außergewöhnlich viel Zeit für lange e-mails und WhatsApp-Nachrichten aufbringen, die sie sich gegenseitig zukommen lassen. Das mag nicht gerade aus dem Leben gegriffen sein – es tut dem Buch keinen Abbruch.

Das Beziehungsgefüge zwischen den beiden hat etwas Schillerndes: persönliche Hintergründe, Haltungen, Sichten auf die Welt, der berufliche Alltag, der gesellschaftliche Umgang könnten unterschiedlicher kaum sein, und dennoch verspürt man eine Nähe zwischen den beiden, die gelegentlich etwas Knisterndes hat. Das Buch birgt Übertreibungen, Überspitzungen, Klischeehaftes, Groteskes, Absurdes, es ist streckenweise reine Satire. Manchmal mag man sich die Haare raufen, auf welche Idee die eine oder der andere im Roman nun wieder gekommen ist, man mag immer mal wieder denken, so naiv kann man doch gar nicht sein. Aber das Ganze hat sein Fundament doch eindeutig in der Wirklichkeit.  Es geht um Gesellschaft und Politik, um Medien und Kultur, um Haltung und Weltbilder, um Wokeness, die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine, um überbordende Bürokratie, darum, was man darf und nicht darf, oder was man muss – und immer wieder um den schnöden Alltag und die persönlichen Verstrickungen von Theresa und Stefan.

Sicher sollte man nicht den Fehler machen, vom Buch ein getreues Abbild der Realität einzufordern oder ihm einen dokumentarischen Wert beizumessen. Es ist ein Roman. Einer, der Sichten auf eine Gesellschaft präsentiert, für die sicher nicht der Anspruch erhoben werden kann, sie seien repräsentativ. Es sind aber Sichten, die vorstellbar sind, die nachvollziehbar gemacht werden – und die es er vermutlich auch gibt.

Vielleicht greifen die beiden Autoren an der einen oder anderen Stelle ein bisschen zu tief in die literarische Trickkiste und lassen sich etwas zu sehr zu Übertreibungen hinreißen – ein Lesevergnügen bleibt dieser Roman allemal.

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