„Joseph der Ernährer“
Eröffnet wird dieser Band mit einem «Vorspiel in den oberen Rängen», ganz nach Wagner- und halb nach Goethe-Vorbild: die Engel unterhalten sich respektlos über das Zustandekommen der Josephs-Geschichte, über Gottes Motive und des Teufels Beitrag. Kein Wunder, müssen Jaakob und Joseph krumme Wege gehen: denn der göttliche Plan ist – aus Engelsperspektive – verworren, eigensüchtig und unausgereift. Nur halb schieben sie die Schuld Semael, dem Satan, in die Schuhe.
Joseph steigt nach dem zweiten «Gruben»-Aufenthalt dank der stichhaltigen Deutung von Pharaos Träumen zum mächtigen Staatsminister auf, souverän, saturiert. Er ist jetzt standesgemäss verheiratet und hat zwei Söhne. Über ihm trohnt in Ägypten nur noch der Joseph ergebene, willensschwache Pharao. Joseph ist wie geschaffen für diese Rolle; er ist ein umsichtiger Manager der Staatsgeschäfte, der in den sieben (oder fünf) fetten Jahren vorsorgt für die mageren Jahre.
Der Hunger treibt Josephs Brüder (ohne seinen Vollbruder Benjamin, den Jaakob zuhause hütet) nach Aegypten, zu den gut gefüllten Scheunen. Joseph – unerkannt – treibt beim Verkauf des Getreides ein Spiel mit den Brüdern, und zwingt sie zu einem nächsten Besuch, diesmal mit Benjamin. Die Brüder bestehen eine Charakterprobe, Joseph gibt sich zu erkennen, die Sippschaft mitsamt dem Patriarchen zieht nach Aegypten, happy end.
Die zehn Brüder, die den ungeliebten Joseph damals im Brunnen seinem Schicksal überlassen haben, fürchten Josephs Rache und Jaakobs Zorn. Beides bleibt aus. Sie verkennen, anders als diese beiden, dass sie nur ein Instrument waren im Plan Gottes, das Volk Israel (und sich selbst) gross zu machen.
Bevor er stirbt, segnet Jaakob jeden einzelnen der Söhne, ein Spektakel in der Bibel, und ein Spektakel hier. Die Söhne sind ja längst selbst ehrwürdige Greise, was Jaakob nicht hindert, sie «Knabe» zu nennen und ihnen Aufträge zu erteilen, wie man das eben so macht mit Kindern. Ein Bild eines Patriarchen. Letzte Pointe, von langer Hand, aber leise angebahnt: Joseph ist unbestritten Jaakobs Liebling, aber die Rolle des religiösen Führers vermacht der Vater nicht ihm, sondern Juda. Hat Joseph für Gottes und Jaakobs Geschmack zu viel Gefallen gefunden an der weltlichen Macht? Aber wahrscheinlich war auch das Teil des Plans.