Besprechung für Joseph und seine Brüder 2
(Rezension für alle vier Bände)
Im Hintergrund dieser Geschichte zieht ein junger Gott ohne viel Anhängerschaft, aber mit Ambitionen, die Fäden. Er protegiert und leitet den Schützling Jaakob, der seinem Gott ergeben ist, aber durchaus mit ihm hadern kann – als ihm sein Lieblingssohn Joseph abhanden kommt, überlegt er sich gar, Gottes Stelle einzunehmen.
Es ist kein einfacher Weg, der zur Grösse dieses Gottes und seines Volkes Israel führt. In einem Kapitel zu Beginn des letzten Teilbandes nimmt der Autor vorübergehend die himmlische Perspektive ein. Die Gemengelage der göttlichen Initiative und ihrer Motive ist unübersichtlich. Kein Wunder, geht auch das Fussvolk auf Erden auf krummen Wegen.
Im Tagesgeschäft dieses Romans ist Gott sehr zurückhaltend, eher äussert er sich des Nachts, traumweise. Aber es ist Gott, der den Helden, das sind in erster Linie Jaakob und Joseph, Selbstvertrauen und Mut gibt, ungewöhnliche Wege zu gehen, an sich (und ihn) zu glauben, eine Dynamik zu entfalten, die Raum für Neues schafft. «Joseph und seine Brüder» ist eine Geschichte der Täuschungen, und der Abweichung von der Tradition: Gleich in drei Generationen wird der älteste Sohn um den eigentlich ihm zustehenden Segen gebracht. Jaakob wird eine falsche Braut untergejubelt. Seine 10 Brüder werfen den unge-, dafür selbstverliebten Joseph in eine Zisterne und überlassen ihn seinem Schicksal. Sie täuschen Vater Jaakob den Tod des Lieblings vor. Die Ehefrau seines ersten ägyptischen Herrn verliebt sich obsessiv in den schönen Joseph und täuscht, als dieser sie zurückweist, eine versuchte Vergewaltigung vor.
Aber das Schicksal meint es eben gut mit Joseph, jede Zurücksetzung lässt ihn nur Anlauf nehmen zu höheren Weihen, und am Ende nimmt er das höchste Staatsamt in Ägypten ein, über ihm steht nur noch ein willensschwacher Pharao. Joseph bleibt dabei stets seiner Herkunft, seinem Vater, seinen Brüdern und seinem Gott verbunden. Der Hunger treibt schliesslich Josephs Brüder nach Ägypten, wo es nach weiteren Täuschungsmanövern, diesmal von Seiten Josephs, zur Wiedervereinigung der Familie unter dem uralten Patriarchen Jaakob kommt. Dem Volk Israel und seinem Gott steht eine glorreiche Zukunft bevor.
Thomas Mann hat viele Quellen verarbeitet, um diese Geschichte, die in der Bibel noch nicht einmal 50 Seiten einnimmt, zu einem gewaltigen Roman von knapp 2000 Seiten zu entfalten. Als Leser muss man da schon gewisse Längen in Kauf nehmen, und zuweilen ist nicht zu übersehen, dass der Autor viel Angelesenes verarbeitet und unterbringen will, insbesondere zu Beginn des dritten Teils, als er Joseph und uns mit dem alten Ägypten vertraut macht.
Dagegen stehen aber so viele intensive, dichte Passagen. Herausragende Dialogszenen: was hier die deutsche Sprache leistet, an Nuancen des Empfindens zum Ausdruck und an mythisch-historischen Resonanzräumen zum Klingen bringt – das ist unvergleichlich. Thomas Mann reflektiert mit der Demagogie der Nazis zeitgenössische Ereignisse, er nimmt Bezug auf Wagner, oder verarbeitet Freuds Entdeckungen. Zuverlässig erschliessen die Kommentarbände diese Räume. Und der Autor bleibt stets nahe am biblischen Geschehen, dessen Zauber unter dem Brennglas Manns neu entfacht wird.