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Besprechung für Courting India

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Eng an den Quellen orientiert, erzählt Nandini Das, wie es dem ersten englischen Botschafter am Hof des indischen Mughals zu Beginn des 17. Jahrhunderts erging. Die wichtigste Quelle ist das Tagebuch des Botschafters Thomas Roe, das hier zugänglich ist: https://archive.org/stream/embassysirthoma02roegoog/embassysirthoma02roegoog_djvu.txt

1614 unternahm Roe die lange Seereise mit dem vorrangigen Ziel, die Handelsposition der East India Company in Indien zu verbessern.

Lange Zeit aber erhält Roe gar keine Audienz beim Herrscher Jahangir. England ist aus Sicht des Mughals eine vernachlässigbare Macht. Vor Ort dominieren die Portugiesen das interkontinentale Handelsgeschehen; die portugiesischen Jesuiten haben eine einflussreiche Stellung am Hof.

Nach und nach gelingt es Roe, sich bei Jahangir als Ambassador zu etablieren, auch wenn die erste Begegnung nicht verheissungsvoll verläuft: Die East India Company hat an den Geschenken gespart, die Roe dem Mughal überbringt. Und der bemerkt das und lässt es Roe spüren. Geschenke bleiben während des ganzen Aufenthalts ein schwieriges Thema, das der Autorin Anlass gibt zu lesenswerten Reflexionen über den interkulturellen Austausch. Wie stark lässt man sich auf die fremde Umgebung ein, ohne die eigene Identität zu verlieren oder zu verändern?  Roe entscheidet sich beispielsweise bewusst dafür, auch in der indischen Sommerhitze englische Kleidung zu tragen.

Die Grösse und der Reichtum der Mughals-Reiches ist überwältigend, das lässt Roe immer wieder durchblicken, bei allem englischen understatement. Ein unfassbares Spektakel muss es gewesen sein, wenn sich der gesamte Hof und die Armee, lashkar, in Bewegung setzte. Unzählige Elefanten und Kamele transportierten eine ambulante Stadt, die in kürzester Zeit aufgebaut werden konnte, nach dem immergleichen Schema. In der Mitte die Behausungen Jahangirs und seines Harems. Wer sein  Zelt oder eben Haus nahe in der Nähe des Zentrums aufschlagen konnte, gehörte zum inner circle des Hofes; Roe wohnte an den outskirts der Stadt.

Es gelingt ihm zwar die Aufmerksamkeit des Mughals zu gewinnen, und er kann auch Beziehungen zu einflussreichen Leuten am Hof aufbauen. Aber der ersehnte Durchbruch gelingt nicht: Roe erhält trotz vieler Anläufe keinen farman vom Mughal-Hof, eine Proklamation, die den Engländern Siedlungs- und Handelsrechte eingeräumt hätte.

Aber nicht nur am Mughal-Hof ist seine Position prekär. Er ist Botschafter des englischen Königs James, und zugleich Angestellter der East India Company. Die Interessen seiner beiden Herren waren nicht zwingend deckungsgleich. Roe hatte einen schweren Stand bei den «Factors», den englischen Händlern vor Ort, die die diplomatischen Initiativen des Botschafters immer wieder mal durch ungebührliches Benehmen unterminieren. Mangelnde (finanzielle) Unterstützung aus England, Krankheiten, Intrigen am Hof: die Mission Roes läuft nicht gut, und am Ende scheitert sie. Er kehrt 1619 nach rund 5 Jahren unverrichteter Dinge zurück nach England. Es sollte nochmals 100 Jahre vergehen, bis Grossbritannien in Indien Fuss fasste und dann eine dominierende Rolle zu spielen begann (1717 wurde endlich ein farman zugunsten der East India Company ausgestellt).

Wir haben es bei Roes Tagebuch mit einem Paradox zu tun: einer bedeutenden Quelle zu einer unbedeutenden Episode des kolonialen Zeitalters. Roes Erzählungen und Reflexionen geben uns detaillierte Einblick in das Indien der Mughals, und geben viel Preis über eine europäische Perspektive auf den exotischen Subkontinent. Verräterisch etwa, dass die Piraterie zeitweise als valable Alternative zum mühseligen Handelsgeschäft erwogen wurde. Bezeichnend, dass die Europäer die Toleranz des sunnitischen Mughals den verschiedenen Religionen kaum einzuordnen wussten. Am Hof hatten die Künste, insbesondere die Malerei, einen hohen Stellenwert. Anderseits irritiert die Willkür und Brutalität, mit der Jahangir herrscht, selbst wenn Roes aus seinem Heimatland in dieser Hinsicht einiges gewohnt war. Der Hof und das ganze Reich ist den Launen des Mughals ausgeliefert, der ausgiebig der Jagdlust frönt, und wohl mindestens zeitweise alkoholsüchtig war.

Nandini Das zeigt diese Facetten und schafft ein kohärentes Bild der Zeit, indem sie auch andere Quellen herbeizieht. Aber gerade weil in Roes Zeit als Botschafter keine entscheidende Entwicklung angestossen wurde, vermisst man eine umfassendere Einbettung der Episode in die Geschichte des Subkontinents. Wie gelang es den Engländern, in Indien zur Kolonialmacht zu werden? Was führte zum Niedergang der Mughals? Wie veränderte sich das Verhältnis der Muslims zu den Hindus auf dem Subkontinent? Natürlich kann man von diesem Buch keine Gesamt-Geschichte des neuzeitlichen Indiens verlangen, aber etwas ausführlichere Skizzen der Entwicklungslinien hätten dem Buch gut getan.

 

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