Besprechung für Emma
Die 21-jährige Emma Woodhouse lebt allein mit ihrem hypochondrischen Vater auf dem Land, unweit Londons. Die Haushälterin, Erzieherin und Freundin Emmas hat Mr Weston geheiratet und ist ausgezogen. Emma ist stolz darauf, diese Ehe eingefädelt zu haben. Sie hält Ausschau nach einem nächsten Verkupplungsprojekt.
Emma geniesst ein sorgenfreies Leben, sie kommt aus wohlhabendem Haus und scheint finanziell abgesichert. Sie macht sich zur Mentorin der jüngeren, hübsche Harriet, die aus weniger komfortablen Verhältnissen stammt. Sie setzt sich in den Kopf, für Harriet eine gute Partie zu finden. Sie rät ihr, einen jungen Verehrer mit bescheidenem finanziellem Hintergrund abzulehnen, da sie bereits den Vikar Mr Elton als künftigen Mann für Harriet auserkoren hat. Mr Elton zeigt sich denn auch sehr bemüht um das Freundinnen-Paar. Nur stellt sich heraus, dass sein Interesse nicht Harriet, sondern Emma gilt, die für sich selbst eine Verbindung nicht in Betracht zieht. Ein enttäuscht-erzürnter Verehrer-Freund und eine niedergeschlagene Freundin resultieren aus dieser Heiratsanbahnung.
Auch im weiteren Verlauf liegt die Expertin in Liebesdingen durchweg falsch. Gekonnt steuert die Autorin auf den Höhepunkt der Täuschungen zu: Emma kennt sich nicht mal aus in ihrem eigenen Herzen. Erst als Harriet ihr die Liebe zu Mr Knightley gesteht, erkennt sie, dass sie den Schwager ihrer Schwester selbst liebt. Das stellt sie vor eine delikate Aufgabe.
Nicht nur Emma, aus deren Perspektive die Erzählerin meist berichtet, tappt oft im Dunklen und zieht falsche Schlüsse. Das forcierte Flirten Frank Churchills mit Emma und das merkwürdig-distanzierte Verhalten Jane Fairfax’, die prädestiniert scheint als Freundin Emmas, sind auch für den Leser nicht leicht zu verstehen. Die geheime Verbindung von Frank mit Jane ist der Motor des Plots; als sich Frank endlich offen zu Jane bekennt, erscheinen retrospektiv manche Szenen in einem klareren Licht. Und Frank tritt damit eine kleine Lawine los: Zum umfassenden Happy End steht eine Triple-Hochzeit ins Roman-Haus. Der komödienhaft-leichte Grundton wird verstärkt durch einige überzeichnete Charaktere: die eingebildete Mrs Elton, die der von Emma abgewiesene Vikar im Triumph in die Gesellschaft einführt; der präventiv jede Veränderung (und sei es ein kalter Luftzug) fürchtende Mr Woodhouse; oder die mit ihrer Schwatzhaftigkeit alles niedermähende Ms Bates, Tante von Jane Fairfax.
Sehen wir einem Reifungsprozess der Heldin Emma zu, die sich bei ihren Manipulationen einige Male die Finger verbrennt? Das ist eine mögliche Lesart, die die Autorin in einem kleinen Schlenker hübsch konterkariert, als sie Emma unterstellt, bereits für die nächste Generation wieder Verkupplungspläne zu hegen.
Es fällt auf, wie die Dinge erst ins Lot fallen, als die Paare sich strikt im Rahmen der vorgegebenen gesellschaftlichen Ordnung gruppieren. Harriet soll Mr Knightley auch darum nicht für sich gewinnen können, weil sie damit seine Position in der Gesellschaft unterminiert. Die Autorin unternimmt wenig, diese tendenziell reaktionäre Sicht Emmas in Frage zu stellen.
Mr Knightley ist lange im Schatten der Geschichte, der freundliche Ratgeber und Nachbar, der für Emma quasi schon immer da war. Ganz plötzlich erscheint Knightley als Emmas Ritter. Vielleicht aber bleibt das Profil von Mr Knightley eine Spur vager, als es der von der Autorin geschickt inszenierte Überraschungseffekt erfordert hätte. Jedenfalls tut sich der Leser schwer, in Mr Knightley die ganz grosse Liebe Emmas zu erkennen.
Unterhaltsam, souverän organisiert, mit sprachlichen Preziosen garniert: Emma ist ein auch nach 200 Jahren überaus lesenswerter Roman, der vielleicht etwas weniger ambitioniert und dynamisch ist als Pride and Prejudice.