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Besprechung für Der Gang vor die Hunde

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Lakonisch am Abgrund

Es gibt verschiedene rhetorische Figuren, sich die Welt vom Leib zu halten, vom Zynismus über die Ironie bis zur Lakonie, die das Geschehen knapp und trocken begleitet, aber noch viel Nähe und Verletzlichkeit zulässt. Erich Kästner war ein Meister der Lakonie.

In «Der Gang vor die Hunde» erzählt er mit Eleganz und Sprachwitz die Geschichte seines Helden Jakob Fabian, der sich trotz fester Anstellung im Studentenmodus durch das düstere und zugleich grelle Berlin in den Jahren vor Hitlers Machtergreifung bewegt. Arbeitslosigkeit, politisch motivierte Gewalttaten, Unglücksfälle: die Zeitungen liefern die täglichen Katastrophen frei Haus. Fabian begegnet auf den Strassen, in Clubs und Bordellen der Verzweiflung in verschiedener Ausprägung, an der er mit genauem Blick für die Abgründe Anteil nimmt.  Das Romanpersonal gibt sich gern sexuellen Aus- und Abschweifungen hin, die Kästner für damalige Verhältnisse zu unverblümt geschildert hatte. Der Roman wurde 1931 in entschärfter Fassung unter dem Titel «Fabian. Die Geschichte eines Moralisten» publiziert und war ein Erfolg für Kästner.

Erst 2013 ist der Roman in unzensurierter Form erschienen, so, «wie Kästner sich» das ursprünglich «vorgestellt haben mag», wie der Herausgeber Sven Hanuschek schrieb, als «Synthese des Typoskripts im Nachlass und der erschienenen Erstausgabe».

Fabian verliebt sich ernsthaft in Cornelia Battenberg, eine Juristin mit Ambitionen als Schauspielerin, die ihn aber bald aus Karrieregründen verlässt. Sein bester Freund Labude, der anders als Fabian kein «Held der Planlosigkeit» ist, erschiesst sich, als ihm – scheinbar – die akademische Karriere definitiv verbaut ist. Ein missgünstiger Assistent hatte Labude von der angeblichen Ablehnung seiner Habilitationsschrift berichtet. Fabian verprügelt in einem besinnungslosen Wutanfall den Schuldigen. Die Liebe und der Tod sind Dinge, denen mit Lakonie nur schwer beizukommen ist.

Schon zuvor hat Fabian seine Stelle als «Reklamefachmann» verloren. Was hält ihn noch in Berlin, «diesem hoffnungslosen, unbarmherzigen Labyrinth»? «Nur fort!» – Er kehrt zurück in sein Elternhaus, zu seiner geliebten Mutter. In der kleinen Stadt hat er Aussichten auf eine Stellung als «Propagandist» einer Zeitung, deren rechte politische Ausrichtung ihm allerdings zuwider ist. Nun hat er wenig Neigung zum Zynismus, die es für diesen Job wohl bräuchte, und mit dem man die Welt am entschiedensten auf Distanz hält. Fabian kann sich nicht überwinden, auf diese Weise in seiner Heimatstadt Fuss zu fassen.

Der Autor beendet daraufhin Leben Fabians und den Roman in lakonischer Weise, und scheint dabei  so ratlos zu sein wie sein Held, wohin sich die Geschichte noch hätte wenden können.

Man kann darin eine fatalistische, resignierte Haltung erkennen, für die Walter Benjamin Kästner in den letzten Jahren der Weimarer Republik scharf angegriffen hatte – ein bequemer «linker Radikalismus», «der überhaupt keiner politischen Reaktion mehr entspricht».  Als nach dem Krieg und dem Untergang des Naziregimes der Roman wieder erscheinen konnte, verteidigt Kästner sein Buch im Vorwort:  «Der verlorene Posten» sei nun mal der Ort des Moralisten.

Die Vor- und Nachworte der diversen Ausgaben, Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte werden in der verdienstvollen Edition von Sven Hanuschek dokumentiert, die den – über weiter Strecken – immer noch frisch wirkenden, traurigen und unterhaltsamen Roman neu zugänglich gemacht hat.

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