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Besprechung für Nagasaki, ca. 1642

Gaby K. 6 Kommentare
Besprechung:

Ein wunderschönes Taschenbuch (Aufmachung) des Berenberg-Verlags.

Das Buch nimmt einem mit – es baut eine faszinierende Spannung auf zwischen zwei Kulturen zu einer weit zurückliegenden Zeit. Mit beiden ist man nicht wirklich vertraut. Man fühlt mit den beiden Protagonisten mit – auch wenn sich einem nicht immer erschliesst, warum sie tun, was sie tun. Die vier Prinzipien der (japanischen) Kriegskunst (die rechte Distanz, der rechte Takt, die gute Verbindung, der magische Augenblick), die Yuudai Seki und Seki Abel lehrt – diese vier Prinzipien wendet Wunnicke für ihre Erzählung an und die benutzten Adjektive (recht, gut und magisch) stimmen für die gesamte Novelle.

Die Informationen über die Situation in Japan im 17. Jahrhundert, die geschichtlichen Hintergründe fehlen, das regt an, sich neben der Lektüre der Novelle auch über diese Zeit anderswo zu informieren. Und ich bin sehr dankbar, dass Du das gemacht hast, denn ich frage mich, ob ich das auch getan hätte, wenn wir das Buch nicht gemeinsam gelesen hätten und ob ich es mich dann nicht doch eher verwirrt zurück gelassen hätte.

Einen leisen ironischen Erzählton nehme ich wahr, vor allem, was die „offene Frage“ von Seki anbelangt, die er sich auf der allerersten Seite stellt. Gegen Ende des Buches sagt Yuudais, der Geist des Meisters und Geliebten von Seki ja auch, dass er das alles nicht so wörtlich hätte nehmen müssen, dass Abel nichts für seine Vorfahren kann. Denn eigentlich ist es ja ein Unsinn, dass Seki sich an einer Kanone rechen muss, die Yuudai falsch benutzt hat. Das ist nicht der Fehler der Kanone, oder derjenigen, die diese gebaut haben, sondern dessen Ungeschicktheit.

„Interkulturelles Wissen, Sprachslapstick und erzählerisches Vermögen kommen in diesem Roman aufs Glücklichste zusammen“, meint Christian Metz vom Deutschlandfunk. Dem stimme ich absolut zu!

Und noch eine Rezensionsnotiz (Frankfurter Rundschau, 27.03.2020), die ich bestätigen kann:

Rezensentin Judith von Sternburg scheint hingerissen von Christine Wunnickes schmalem Roman. Die Autorin erzählt hier von einem jungen Niederländer, genannt Babbel, der als Teil der Ostindien-Kompanie nach Japan kommt und sich dem kundigen Samurai Seki Keijiro anschließt. Das sei zwar einerseits eine unterhaltsame Culture Clash-Geschichte, meint die Rezensentin, aber auch ernst, zumal sich ein geplagter Geist zu den beiden Männern gesellt, staunt die Kritikerin, die dem Roman zudem eine ungeheure Spannung attestiert. Sie lobt die „raffinierten und gleitenden“ Perspektivwechsel, die eine erhöhte Aufmerksamkeit vom Leser fordern, sowie Wunnickes Sinn für „Poesie und schlanken Witz“. Von Sternburg sieht dieses Buch als Beweis dafür, dass die Longlists für den Deutschen Buchpreis doch auch noch horizonterweiternd sein könnten, meint sie.

Und zum Schluss noch diese (aus dem titel-kulturmagazin.net): Es gibt keine Erklärungen in dieser schmalen Novelle, sondern nur die Erzählung. So dass man am Ende genauso verblüfft ist wie Abel, der fragt: »Ist solche Rache eine Sitte deines Landes, oder bist du allein verrückt?« Und Keijiro antwortet: »Beides«.

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Moritz T.

Vorgesehen sind drei Bewertungskriterien:

  • Inhaltliche Bewertung von 1 (reine Zeitverschwendung, ein Aergernis) über 5 (lesenswert) bis zu 10 (unvergesslich, tief beeindruckend).
  • Zugänglichkeit von a (kinderleicht zu lesen) bis e (nur mit sehr viel Aufwand)
  • Ausstattung von * (billig, geschmacklos) bis ***** (wunderschön).

Meine (derzeitige) Bewertung für Nagasaki, ca. 1642:
6-7 / b / ****

Meine Besprechung ist allerdings noch nicht abgeschlossen, ich bin im Hinblick auf das Ende unschlüssig. Dass man ratlos und befremdet zurückbleibt, ist ja nur konsequent, wenn man sich auf das „Japonica“ von Keijiro Seki einlässt. Aber warum kann Abel nicht mehr Widerstand mobilisieren?
Sprachlich ist die Novelle souverän gestaltet, es macht Freude, das Buch zu lesen.

Die vier Prinzipien: ich habe vergeblich (allerdings auch nur kurz) recherchiert, ob sie effektiv überlieferten Samurai-Tugenden entsprechen. Es wäre noch zu zeigen, wie und wo Wunnicke in ihrer Prosa die Prinzipien zur Anwendung bringt. Am ehesten wohl am Ende, als eine starke Verbindung von Abel zu Keijiro vorhanden ist, Distanz und Takt auch stimmen, Voraussetzung für den magischen Augenblick, der aber – wiederum, befremdlich – mit dem Tod Abels einhergeht.

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