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Besprechung für Das ist Alise

bheym 1 Kommentar
Besprechung:

„Das ist Alise“ ist ein ungewöhnlicher Roman. Er ist sehr kompakt, er besteht aus nur wenigen Sätzen, die sich über viele Seiten erstrecken, und wenn einmal ein neuer Satz anfängt, dann beginnt er mit „Und“. Ausser Kommata gibt es praktisch keine Satzzeichen, auch kommt er gänzlich ohne Absätze aus. Dabei fehlt dem Roman ansonsten nichts – er erzählt eine Geschichte mit verschiedenen Figuren und es kommen Dialoge vor, diese sind allerdings überaus karg. Das Geschehen ist in einer entlegenen Landschaft an einem norwegischen Fjord verortet, Menschen, Landschaft, das Haus, ein Boot, Gegenstände oder Beziehungsverhältnisse werden anschaulich beschrieben. Die Hauptfiguren sind Signe und Aisle, wobei Letzterer schon seit Jahrzehnten verschwunden ist und Signe allein im Haus sitzt, durch das grosse Fenster auf den Fjord schaut und über Aisle und sein Verschwinden sinniert. In Gedanken wird der Leser dabei weit in die Vergangenheit von Signe und Aisle und noch weiter in die von Aisles Familie mitgenommen – bis hin zu seiner Ururgroßmutter Alise.

Gedanken, Figuren, Wahrnehmungen, Reminiszenzen wiederholen sich in dem Roman, der aber stets in Bewegung bleibt, kreist und einen Sog entwickelt, der es dem Leser erlaubt, tief in die Innenperspektive des Romanpersonals einzutauchen. Der Erzähler schildert auch banale Wahrnehmungen und Reflexionen der Figuren detailliert: man kommt ihnen sehr nahe, wobei sich nie das Gefühl einstellt, man würde das Wesen der Person vollumfänglich erfassen. In fast allen der wenigen Sätze geht es um grosse Themen wie Leben, Tod, Schicksal, Verlust, Sinn, Schmerz, Sehnsucht, Verlorenheit und darum, was sie mit uns machen. Es werden keine Antworten gegeben, es wird gefühlt, gefragt, gedacht, reflektiert, man wird als Leser in die Romansphäre hineingezogen, vielleicht so, wie der Mensch in das Leben hineingeworfen wird und sich seinen eigenen Reim darauf machen muss, was er damit anfängt – Phasen der Rat- und Hilflosigkeit und zermürbende Gedanken inklusive.

Es ist bemerkenswert, wie Jon Fosse mit seinem minimalistischen Stil, dem überaus überschaubaren Setting und seinen aufs Äusserste reduzierten Dialogen eine dichte Atmosphäre schafft und wesentliche Aspekte des Menschseins herausschält. Für Menschen, die Freude an psychologischen Kammerspielen haben und eine gewisse Offenheit mitbringen, gewohnte literarische Pfade zu verlassen, sollte „Das ist Alise“ auf jeden Fall eine bereichernde Lektüre sein.

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Daniel

Danke, da scheint Wesentliches vom Werk erfasst und es klingt nach einer spannenden Reise durch Zeit und Raum in eine Innenwelt – mit Aisle und Alise. Werde ich gerne lesen.

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