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Besprechung für Prophet Song

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Besprechung:

Paul Lynchs fünfter Roman spielt in der nahen Zukunft: Irland wird zu einem faschistischen Staat. Eilishs Mann Larry, ein Gewerkschafter, ist bereits verschwunden. Ihren älteren Sohn schickt sie in den Norden, um ihn so vor dem Militärdienst zu bewahren. Die jüngeren Kinder sind noch bei ihr. Ausreisen können sie nicht; es fehlen die nötigen Visa. Ihre Schwester Áine, die in Kanada lebt, versucht sie trotzdem in ihre neue Heimat zu holen. Der ältere Sohn hat sich unterdessen den Rebellen angeschlossen, die das rechtsradikale Regime stürzen wollen. Der Krieg kommt immer näher …

Inspiriert vom Schicksal der Flüchtlinge aus Syrien, aber auch von Hermann Hesses Antizipation einer sich anbahnenden Katastrophe im Deutschland der 1920er Jahre , schreibt Paul Lynch formal ansprechend, inhaltlich packend über eine Mutter und ihre Kinder, die nicht ausreisen können oder wollen, aber schliesslich doch flüchten müssen. Er schreibt ganz ohne Absätze, die Kapitel sind aber doch so unterteilt, dass der Roman gut lesbar bleibt. Für diesen spannenden Roman wurde Paul Lynch zu Recht mit dem Booker-Preis ausgezeichnet. Paul Lynch schreibt aus Eilishs Perspektive, einfühlsam und überzeugend, aber nicht in der Ich-Form.

Der Roman wurde mit anderen dystopischen Werken von Autor:innen wie Anthony Burgess, Margaret Atwood und George Orwell verglichen. Er entwickelt einen starken Sog; man fühlt mit, Eilishs Schicksal und das ihrer Kinder, Opfer in dieser fiktiven Welt, die aber doch so nahe ist bei unserer eigenen, geht einem nahe. «Prophet Song» ist dabei nie schwarzweiss; auch wenn immer klar ist, dass die Diktatur für Eilishs Familie (und das ganze Land) eine Katastrophe ist – anders lässt sich diese Geschichte auch gar nicht erzählen.

Lynch wurde kritisiert, weil er es offenlässt, wie sich der Faschismus durchsetzen konnte. Doch diese fehlende Eindeutigkeit ist sicher auch eine Stärke des Romans. Wenn er die faschistische Machtübernahme nachzeichnen würde, würde dies auch heissen, dass die Parallelen etwa zu Flüchtlingsschicksalen in der realen, heutigen Welt weniger klar wären: es wäre einfacher, sich von diesen Schicksalen zu distanzieren, da sie ja nur in einer fiktiven Zukunft spielen. Der Roman würde letztlich an Tiefe, an verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation verlieren.

Nicht nur mit den Wahlerfolgen der extremen Rechten in vielen Ländern ist «Prophet Song» brandaktuell. Eilish ist gestandene Wissenschaftlerin, sie hatte ihr Leben gut organisiert. Aber angesichts des Staatsterrors wird sie hilflos. Sie ist wie paralysiert, wartet auf Dokumente, die nie kommen; wartet natürlich vor allem auch auf ihren Mann; will ihre Kinder vor dem Schlimmsten bewahren; findet immer neue Ausreden, um doch noch in Irland zu bleiben. Die Fundamente des Lebens zerbröseln, wenn der Staat selber Verbrechen begeht. Das war 1933 nicht anders.

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