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Besprechung für Verlangen nach Musik und Gebirge

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

 

«Verlangen nach Musik und Gebirge» hat vordergründig mehr mit Malerei und Meer zu tun. Aber das Nietzsche-Zitat im Titel macht sich gut, und es geht wohl vor allem darum: Die Natur und die Kunst bieten Auswege aus den sozialen Verstrickungen. Davon hat der Roman reichlich zu bieten.

Eine zufällig zusammengewürfelte Touristengruppe, im eher trist gezeichneten Oostende. Was tut man, das Wetter ist nicht besonders, die Strände locken kaum, die Sehenswürdigkeiten sind nicht sehr sehenswürdig? Man verliebt sich. Im Zentrum ein junges italienisches Paar, sie, Sonia, von antilopenhafter Anmut und eher schläfrig, er, Maurizio, eine muskulöse Erscheinung und eher dumm. Am Paar wird von zwei Seiten gezerrt: Willaert, der als Stadtführer, James-Ensor-Wiedergänger und Parfümhändler, Intendant und Intrigant agiert, hat Gefallen gefunden an Maurizio. Und für Sonia interessieren sich mehrere Männer, darunter der junge, gehbehinderte Roy, der zu seinem Unglück von seiner boshaften, aufs junge Leben neidischen Grossmutter begleitet wird.

Jede Geste, jeder Blick, jedes Wort ist mit Bedeutung aufgeladen. Wir verfolgen über hunderte von Seiten, wie sich Roy nach Sonia verzehrt, und Willaert Maurizio allmählich verführt, dazu das eine oder andere Mini-Drama der Randfiguren. Der Leser verdankt die Beobachtungen des Balzgebarens der Erzählerin Frau Fesch, ebenfalls Mitglied der Gruppe, wenn auch kein prominentes. Sie hält sich vornehm zurück, lange weiss der Leser wenig über sie. Es stellt sich dann heraus, dass sie selbst sehnlichst jemanden erwartet, der zudem ihr (hübsches) Opern-Libretto, das im Buch mit etwas forciert wirkender Begründung wiedergegeben wird, vertonen soll.

Frau Fesch ist also selbst verliebt. Kann dies das merkwürdig starke Interesse an den Irrungen und Wirrungen der anderen Touristen erklären? Sie selbst nennt mehrfach als Motiv, dass sie «Zeit totschlagen» muss. Wie auch immer: Der Roman beschreibt die Figuren (und Oostende) mit subtilen Bildern und originellen Formulierungen, die stellenweise grossen Lesegenuss bescheren.  Das ist viel. Aber es gibt viel mehr: eine postkoloniale Diskursebene (der schreckliche Leopold II.!); philosophisch-psychologische Überlegungen (warum verhalten sich die Figuren, wie sie es tun; wie lebt man in einer Stadt wie Oostende?); wir sind immer wieder auf den Spuren des Malers James Ensor, Lokalmatador mit Weltruf, mit seinen Maskenbildern; die US-amerikanische Politik wird heftig kritisiert (der Roman erschien 2004, Bush, Irak sind die Stichworte). Gern wird in Anspielungen (Joseph Conrad! Nabokov!) und Rätseln geredet, die der geneigte Leser zu deuten eingeladen ist. Das wirkt dann zusammen genommen etwas überambitioniert, und – ermüdend.

Brigitte Kronauer erzählt eine Geschichte (fast) ohne nennenswerten Plot, eine interessante Zumutung für den Leser. Als man schon glaubt, es bleibt bei der kühnen Deklination einer Figurenkonstellation ohne nennenswerte Entwicklung, der blossen Studie des Flirtverhaltens gelangweilter Touristen, spitzt sich am Ende die Situation doch noch traditionsgemäss zu, bis hin zum verhinderten Mordversuch.

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