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Besprechung für Alles fliesst

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

«Alles fliesst» sind eigentlich zwei Bücher, die nur sehr lose verbunden sind:

In Ansätzen ein Roman mit dem Helden Iwan Grigorjewitsch, der nach 30 Jahren Lagerhaft nach Moskau und Leningrad zurückkehrt, und schliesslich in einer kleinen Stadt Arbeit und für kurze Zeit Liebe findet.

Und dann ein Essay über die Geschichte der Sowjetunion, der in einem fulminanten Plädoyer für die Freiheit des Menschen mündet. Man spürt in diesen Zeilen den enormen Leidensdruck und die massive Enttäuschung, die die Verwandlung der UDSSR in den totalitären, stalinistischen Staat für den Autor mit sich gebracht hat. Das Nachwort gibt Auskunft darüber, unter welch schwierigen Bedingungen «Alles fliesst» entstanden ist. Viele Aussagen sind gerade auch heute wieder brisant, da sich die Geschichte der Unfreiheit in Russland zu perpetuieren scheint.  Warum tut sich Russland so schwer mit der Freiheit? Grossman greift weit zurück in die Zarengeschichte, kommt auf die verpasste Gelegenheit im Februar 1917 zu sprechen, beschäftigt sich dann aber vor allem lange mit dem Übergang von Lenin zu Stalin. Die Kernthese der ununterdrückbaren, dem Leben inhärenten Freiheit wird zwar vehement vorgetragen, scheint aber philosophisch-historisch eher schwach fundiert. Der Essay vermittelt durchaus interessante (und grausame) Einblicke in die frühen Jahre der Sowjetunion, beispielsweise mit der intensiven Schilderung des Holodomors, des Hungerkriegs gegen die Ukraine. Es beeindruckt, mit welcher Hellsichtigkeit der Autor schon kurz nach deren Ende gewisse Aspekte der Stalinzeit analysiert. Aber der Text wirkt auch weitschweifig und zerfasert etwas, man merkt ihm an, dass er unter grossem Druck aus dem Moment heraus geschrieben ist.

Im Romanfragment gelingt es Grossman, Mechanismen der Macht und Ohnmacht, des Denunzierens und Verdrängens gültig zu veranschaulichen. Die Selbstgespräche von Iwans Vetter Nikolai, der als Mitläufer unter Stalin Karriere gemacht und vom grassierenden Antisemitismus profitiert hat, sind brillant in Szene gesetzt. Es ist bestürzend zu begreifen, dass Nikolai durchaus kein Zyniker ist, und dass seine Frau ihn aufrichtig bewundert und liebt. Er ist ein Spielball der Zeitgeschichte, der an seine eigenen Rechtfertigungen glaubt, vielleicht glauben muss, um weiter leben zu können. Kein Wunder, endet die Begegnung mit dem aus dem Lager heimkehrenden Iwan in Sprachlosigkeit und Unverständnis.

Gern hätte man sich etwas mehr Roman und etwas weniger Essay für dieses Buch gewünscht.

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