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Besprechung für Paradise Lost

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Der Plot ist ziemlich hanebüchen: ein allmächtiger und allwissender Gott wird von einer Rebellenschar, angeführt von Satan, herausgefordert. Naturgemäss obsiegen die Gottes-Krieger unter der Leitung von Gottes Sohn, und die Teufelsbrut wird in die Hölle verbannt. Dort sinnt das teuflische Parlament auf Rache und verfällt darauf, die von Gott neugeschaffene Erde und die ersten Menschen zu kompromittieren. Das gelingt; Satan kann damit Gott ärgern, aber es bleibt unklar, inwiefern dieser Streich Satan und die anderen Teufel zurück in den Himmel bringen soll.

Fortan geht es dann auch nicht mehr darum, wie Satan die Macht im Himmel erobern kann – der Fokus der Story wechselt zu den Menschen, zu Adam und Eva, die sich von dem als Schlange getarnten Satan dazu verführen lässt, eine Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen, gegen Gottes explizites Gebot.  Gott hat dem Menschen den freien Willen geschenkt; er antizipiert, dass die Menschen den freien Willen dazu nutzen werden, von ihm abzufallen.

Gottes Strafe ist furchtbar: Verbannung aus dem Paradies, und das Ende der Unsterblichkeit des Menschen. Auf vertrackte Weise kann aber der Mensch dann doch wieder das ewige Leben erlangen, dank der Grossmut von Gottes Sohn.

Adam erfährt vom himmlisch-höllischen Konflikt durch Raphael, Boten Gottes. Rückblende in die Vorgeschichte, inklusive Warnung an die Menschen, dass Satan es auf sie abgesehen hat.

Nach dem Sündenfall sucht Michael, ein anderer Bote Gottes, Adam und Eva auf. Übermittlung des Verdikt Gottes, plus Vorschau auf die Geschichte des Menschengeschlechts.

Warum ist «Paradise lost» trotz (natürlich nicht nur von Milton verschuldeter) Plot-Inkonsistenz und manchen Längen eine erhebende Lektüre, die viel Stoff zum Nachdenken gibt?

  • Debatte im Teufels-Parlament, dicht erzählt: was ist zu tun, nach dem Höllen-Sturz? Die Verzweiflung der Teufel ist spürbar
  • Gott verkörpert das Gute, da Satan in die Opposition geht, wählt er nolens volens das Böse. Aber Satans Position ist – vermutlich gegen die Intention des Autors – eine interessante und vermag dem Leser Sympathien abzugewinnen. Für William Blake, der die phantastischen Illustrationen kreierte, die diese Ausgabe begleiten, war Satan der eigentliche Held von «Paradise lost». Satan bezweifelt die Legitimität von Gottes himmlischer Diktatur, und die Geschichte lässt diesen Zweifel im Raum stehen; Gottes Herrschaft scheint allein in seiner Macht, seiner Überlegenheit begründet; damit usurpiert er die Herrscher-Position unter den Himmelsgeschöpfen.
  • Das Argument des freien Willens, mit vielerlei Anklängen an gegenwärtige Debatten: Gott verleiht dem Menschen den freien Willen, damit er sich am freiwilligen Gehorsam des Menschen erfreuen kann. Gott sieht aber mit Bestimmtheit voraus, dass der Mensch den freien Willen dazu nutzen wird, von ihm abzufallen. Wie kann ein Wille frei sei, wenn er offenbar dennoch strikt Gesetzmässigkeiten folgt?
  • Die ergreifende Klagerede Adams, als er das Ausmass der Misere begreift, die die Sterblichkeit in die Schöpfung bringt
  • Die Verquickung von Altem und Neuem Testament, die die unterschiedlichen Ausrichtungen der beiden Bünde eher noch akzentuiert: Gott ist zunächst im Himmel eifersüchtig auf seine Macht bedacht, und im Umgang mit den ersten Menschen zeigt er perfide Züge. Der Sohn dieses Diktators ist im Krieg gegen die Teufel ein schreckenerregender General und treibt die Gegner erbarmungslos in die Hölle, bevor er dann zum Prediger der Liebe, zum Menschenfreund und -erlöser mutiert.
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