Besprechung für Die Ladenhüterin
Der Konformitätsdruck in der japanischen Gesellschaft ist hoch; schon als Kind kann die Ich-Erzählerin Keiko Furukura die ungeschriebenen Regeln nicht richtig interpretieren, beim besten Willen nicht. Sie ist eine Aussenseiterin ohne Freunde. Als 18-jährige tritt sie eine Teilzeitstelle in einem neu-eröffneten Convenience Store oder Kombini an, einem jener zahlreichen Läden, die in Tokyo Produkte für den täglichen Bedarf, insbesondere rasch zu konsumierende Esswaren, anbieten.
18 Jahre und 8 Managers (=Chefs) später ist Keiko immer noch da, längst die Dienstälteste. Studenten, Hausfrauen, und job-hoppers, das übliche Personal, bleiben in der Regel nur ein paar Monate. Sie spürt zunehmenden Druck aus dem spärlich besetzten Familien- und Bekanntenkreis. Mit 36 Jahren sollte man als Frau entweder verheiratet sein, oder eine respektable Karriere eingeschlagen haben. Weder zum einem noch zum anderen fühlt sich Keiko berufen, Sexualität bleibt ihr fremd; sie geht ganz auf in ihrem Job, dem sie mit grosser Ernsthaftigkeit und einem Eifer nachgeht, der ihren Arbeitskollegen zuweilen etwas überbordend scheint. Im Laden gibt es ein überschaubares Set an Regeln, die Keiko perfekt beherrscht, ganz anders als im Leben.
Ein neuer Mitarbeiter im Kombini, Aussenseiter wie sie, tut sich ähnlich schwer mit gesellschaftlichen Erwartungen. Er äussert sich – für japanische Verhältnisse – krude und direkt und ist sehr mürrisch. Er findet so offensichtlich keinen Gefallen an der Arbeit im Store (wo nur «Verlierer» arbeiten, wie er findet), dass die perplexe Keiko ihn eines Tages fragt, warum er eigentlich hier sei. Shiraha (so heisst der Kollege) antwortet kurz angebunden: um eine Frau zum Heiraten zu finden. Bald darauf wird er entlassen. Keiko gabelt ihn etwas später auf und nimmt den grummelig widerstrebenden Shiraha bei sich auf, eine win-win-Situation: sie tut dem Druck der Umgebung Genüge, und wohnt endlich mit einem Mann zusammen; er kann seinem Hang zu Hikikomori, dem Rückzug aus der Gesellschaft, nachgeben, den zu finanzieren seine Familie nicht mehr bereit ist. Aber er schuldet der Familie Geld, die Schwägerin setzt ihn unter Druck: ihr gegenüber spielt er vor, dass er tatsächlich mit Keiko als Partnerin zusammenlebe und sie gemeinsame Zukunftspläne hätten. In Tat und Wahrheit haust er in der Badewanne von Keikos Wohnung, teilt nie Bett – sie ist ihm zu wenig attraktiv – und nur ausnahmsweise Tisch mit ihr. Er bringt Keiko dazu, ihre Stelle zu kündigen, er hofft eigennützig, dass sie einen Job mit mehr Lohn findet – ein Bruch in Keikos Leben, der etwas schwach motiviert scheint, wenn man bedenkt, was der Kombini für Keiko bedeutet.
Ohne Laden gerät Keikos Leben prompt aus den Fugen.
Keikos Unverständnis für die Konventionen produziert immer wieder Szenen voller Komik, die die Autorin leichthändig inszeniert. Keiko ahmt die Aussenwelt nach, imitiert Stimmlagen, Gesichtsausdrücke – ja, sie behauptet, fast ausschliesslich zusammengesetzt zu sein aus Verhaltenselementen, die sie von ihren Kollegen übernommen hat.
Für Nicht-Japaner interessant der Blick hinter die Store-Kulissen, die quasi-religiöse Hingabe an den Dienst im Laden, die Uniformität im Auftreten, das Einüben der Begrüssungs- und Dankesformeln in der richtigen Tonlage und Lautstärke.
Das schmale Buch liest sich schnell und gut; zuweilen entsteht der Eindruck, eher als einer Erzählung mit einer Eigendynamik einer Versuchsanordnung zu folgen, was aber durchaus Keikos Perspektive auf die Welt entsprechen dürfte, die darin für sich einen geeigneten Platz sucht.