«’Alle Kausalgesetze sind Ausnahmen unterworfen, wenn die Ursache nicht den Zustand des ganzen Weltalls umfasst.’»
GK zitiert hier Russell, Satz scheint einleuchtend, spannende Frage, wie sich einzelne «Verlaufgesetze» in der wirklichen Welt bewähren. Wenn sich Kausalgesetze überlagern, sind Ausnahmen vom erwarteten Ausgang (aus Sicht eines spezifischen Kausalgesetzes) möglich. GK meint, dass wir mit dieser Annahme aber einen sehr hohen Preis bezahlen: «Alle gewöhnlichen Kausalgesetze wären dann falsch: Kein Bruch eines Fensters wurde jemals durch einen Steinwurf verursacht (…)». Ist das nicht etwas holzschnittartig argumentiert? Unter Laborbedingungen trifft ein Kausalgesetz verlässlich zu, aber in der realen Welt nicht immer. Muss darum das Kausalurteil falsch sein?
Wenn ich das richtig sehe, nennt GK dies an anderer Stelle „Überlagerungsproblem“: In der realen Welt herrschen eben keine Laborbedingungen, mithin gibt es keine einzelnen Kausalgesetze, die uneingeschränkt gelten bzw. die von einem Ausgangszustand auf ein Folgezustand schliessen könnten. Ich kann dem Argument nicht folgen, vermutlich, weil ich es nicht richtig verstehe. Was spricht dagegen, in der realen Welt alle möglichen Kausalgesetze miteinander zu kombinieren, um am Ende den Ablauf korrekt zu erfassen. Das tut man in der Physik auch: man aggregiert alle auf einen Kräfte wirkenden Kräfte, woher sie auch kommen mögen, und löst mit Hilfe der resultierenden, effektiv wirkenden Kraft eine Bewegungsgleichung und schließt damit vom Ausgangs- auf einen Folgezustand. Ich sehe nicht die Notwendigkeit, alles auf EINE Kraft reduzieren zu müssen oder am Ende EINE Superformel haben zu müssen, die alles erfasst. Mir ist schleierhaft, wofür oder wogegen die Überlagerung ein Argument sein soll, dem Kausalitätsprinzip tut sie für mich keinen Abbruch.,
Ich musste im Kontext an die Replikations-Krise insbesondere in der Medizin und der Psychologie denken Replication crisis – Wikipedia
Erschreckend viele Studienergebnisse lassen sich nicht reproduzieren. Nun mag dies teilweise daran liegen, dass die wissenschaftlichen Methoden in der primären Studie nicht exakt genug beschrieben oder in der sekundären Studie nicht exakt genug befolgt worden sind.
Ich vermute allerdings, dass dies nur ein Teil des Problems ist; der andere, schwerwiegendere Teil dürfte vom „Überlagerungsproblem“ her rühren: Es ist in der Medizin und insbesondere in der Psychologie selbst unter wissenschaftlich klar abgesteckten Rahmenbedingungen schlicht nicht immer möglich, alle Einfluss-Faktoren zu überblicken und die Interaktionen mit anderen Einfluss-Faktoren zu erkennen.
Wenn Du nun von der wissenschaftlichen Sondersituation auf die Welt als Ganzes extrapolierst, dann potenzieren sich die Schwierigkeiten. Die Überlagerungs-Effekte sind nicht beherrschbar. – Um den Determinismus zu retten, müsste man dann eine metaphysische Annahme treffen, die nicht mehr auf Empirie und Kausalität beruht. All das spricht nicht gegen das Kausalitätsprinzip, aber es wäre nach GK ein Irrweg zu meinen, die konsequente Anwendung des Prinzips führe in einen deterministische Welt.
Das scheint mir ein sehr praktsisches Argument zu sein, nicht aber ein grundsätzliches. Dass ich die Überlagerungseffekte in der Praxis nicht alle adäquat berücksichtigen kann, ist nicht zu bezweifeln. Genauso klar ist, dass dies die Voraussagbarkeit tangiert – da ich am Ende immer irgend etwas vernachlässige oder grob nähere, wird es auch immer Abweichugen zwischen Prognose und eingetretenem Ereignis geben. Aber macht das die Dinge auch nur einen Deut weniger kausal? Oder weniger determiministisch, wenn man annimmt, die Welt ist grundsätzlich deterministisch verfasst?
Determinismus (immer nach GKs Verständnis der Laplaceschen Variante) ist nur zu haben, wenn der Weltenlauf insgesamt nach einem vorherbestimmten Muster abläuft. Die erfolgreiche Anwendung des Kausalitätsprinzips im Einzelfall ist kein zuverlässiges Indiz für eine deterministische Welt; aus vielen sich überlagernden Kausalitäten lässt sich keine zwingende Fortsetzung eines Zustandes A in einen Zustand B ableiten. Es führt kein Weg vom Kausalitätsprinzip zum Determinismus (ohne metaphysischen Sprung).
Das alles mag gesucht und nicht sonderlich überzeugend klingen. Aber wenn wir einen Schritt zurücktreten – worum geht es GK eigentlich hier? Meines Erachtens nur mal darum, Pflöcke einzuschlagen, die den Libertariern eine bessere (und den Deterministen eine schlechtere) Position verschaffen bei der Klärung der Willensfreiheits-Frage . Ob das irgendetwas zur sachlichen Klärung beiträgt? Die weitere Lektüre wird das zeigen.