„Warum sollte der Umstand, dass mentale Prozesse physisch realisiert sind, dass also in meinem Gehirn etwas vorgeht, während ich etwas denke oder will, freiheitsgefährdend sein? … Die Unvereinbarkeit, auf die der Libertarier verpflichtet ist, ist die zwischen Freiheit und Determinismus, keine zwischen Freiheit und Naturzugehörigkeit des Menschen.“
GK wehrt sich gegen den Vorwurf, dass Libertarier dem Dualismus zuneigen, wie er z.B. von Neurowissenschaftlern wie Gerhard Roth oder Wolf Singer erhoben wird. GK fragt: „Was ist hier schiefgelaufen?“ und konstatiert, dass die beiden einer begrifflichen Verwechslung anheimgefallen sind. Sie würden nämlich übersehen, dass sie den Begriff „festlegen“ in zwei verschiedenen Bedeutungen gebrauchen: a) mentale Zustände sind durch physikalische Zustände festgelegt, b) ein Folgezustand ist durch einen vorhergehenden Zustand festgelegt. In a) ist festlegen synchron zu verstehen, in b) diachron.
Ich glaube nicht, dass GK hier den entscheidenden Punkt trifft: Aus meiner Sicht wollen GR und WS Folgendes sagen: Wenn mentale Zustände fest an physikalischen Zuständen gebunden sind und wenn wir Freiheit postulieren, dann reicht es nicht aus, die Freiheit auf der mentalen Ebene zu postulieren (und etwa mit Gründen, Fähigkeiten usw. zu argumentieren), sondern man muss zeigen, wie Freiheit in der physikalischen Welt realisiert sein soll. GR und WS verschieben gewissermaßen die Beweislast auf die Libertarier und fragen: Wo ist die Freiheit in der physikalischen Welt? Zeigt sie uns, wir sehen sie nicht und finden auch keine Hinweise auf sie.
Ja, GK scheut sich hier wie andernorts nicht, Argumente von eher weit herzuholen, um seine Position zu untermauern. – GK hält aber durchaus im Einklang mit Singer und Roth fest, den Dualismus-Vorwurf zurückweisend: «Mentale Ereignisse sind nach allem, was wir wissen, physisch realisiert.» (p. 118) Eine freie Willensentscheidung (wenn es sie denn gibt) ist ein mentales Ereignis, also wird es physiologische Spuren hinterlassen, respektive schon während der Entscheidung ein physiologisches Äquivalent haben. –
GK erklärt aber weiter, dass «die Erforschung neuronaler Korrelate des Mentalen für das Freiheitsproblem irrelevant sind» (p. 119), und ich glaube, er hat damit recht. Auf die Frage, wo die Freiheit in der physikalischen Welt ist, könnte doch GK beispielsweise wie folgt antworten: Komplexe Entscheidungsprozesse nehmen andere Hirnareale und Synapsenverbindungen in Anspruch als beispielsweise die trauminduzierte Bewegung eines Arms. Ich erkenne einen freien Willensentscheid daran. Natürlich würden Roth und Singer mit ebenso gutem Recht argumentieren, dass zwar komplexe Entscheide andere Hirnareale in Anspruch nehmen als unwillkürliche Handlungen, aber dass dies längst keinen freien Willen impliziert. Das Gespräch würde vermutlich in einer Sackgasse enden. (– Interessant wäre im Kontext die Frage, wann GK bei uns Menschen den freien Willen am Werk sieht: Wenn ich mir am Morgen einen Kaffee mache, genauso wie wenn ich mich entscheide, nächstes Jahr nach Island in die Ferien zu fahren?).
Dasist vermutlich eine der ganz großen Streitfragen in der Philosophie des Geistes: Kann man das Freiheitsproblem ausschliesslich im Mentalen verorten oder muss man die physikalische Welt einbeziehen? Wenn man am Konzept der naturgesetzlich verfassten Welt festhält, sehe ich nicht, wie man sich auf das Mentale beschränken kann. Selbst wenn „Freiheit“ ein Begriff ist, der gewissermassen der mentalen Welt entstammt – es handelt sich ja nicht um einen physikalischen Terminus -, dann würde ich schon verstehen wollen, wie sich die physikalischen Welt zur mentalen Welt verhält, insbesondere dann, wenn man einräumt, dass das „Mentale auf dem Physikalischen superveniert“. Jedenfalls empfinde ich es als unbefriedigend, wenn das einfach so als irrelavant erklärt wird. Gerade wenn man den Dualismus ablehnt, drängt sich die Frage auf, wie Mentales sich zu Physikalischem verhält
GK spricht davon, dass das Mentale von Physikalischen festgelegt ist (das Mentale geht synchron mit dem Physikalischem einher), dann hat das den Anschein, dass das Bild „zwei Seiten einer Medaille“ hier durchaus passen würde – mit dem Zusatz, dass die eine Seite durch die andere festgelegt ist. Wenn ich also auf der mentalen Ebene eine freie Entscheidung treffe, wie realsiert sich das auf der physikalischen Seite? Folgt aus einem Ausgangsszustand (vor der Entscheidung in der mentalen Welt) in nicht zwingender Weise ein Folgezustand (nach der Entscheidung in der mentalen Welt)? Wie soll dann die entsprechende physikalische Bewegungsgleichung für den Ausgangszustand aussehen? oder ist das eine falsche Frage?
Auch ein Libertarier wie GK wäre vermutlich sehr interessiert daran zu sehen, wie eine freie Willensentscheidung sich in einem bildgebenden Verfahren reflektiert. GK befasst sich (bislang) für meinen Geschmack allerdings viel zu wenig damit, wann in einem Prozess des (Unter-) Bewusstseins von einem freien Willensentscheid die Rede sein kann und wann nicht.
Nehmen wir doch das Beispiel der trauminduzierten Bewegung des Armes (Kategorie 1: (vorrangig) unterbewusste Handlung) und dem Entscheid, mich zur Fahrprüfung anzumelden (Kategorie 2: (vorrangig) bewusst-reflektierte Handlung). Wir fügen je neun weitere Beispiele aus beiden Kategorien hinzu.
Nehmen wir an, die bildgebenden Verfahren zeigen für die Beispiele jeweils ein sich stets wiederholendes, unterschiedliches Grund-Muster für Kategorie 1 und 2, wenn man die Momente unmittelbar vor und nach einer Handlung in den Blick nimmt (Arm bewegen, sich auf der Website zur Fahrprüfung anmelden).
Jetzt haben wir also die (hypothetische) Situation, von der Du oben sprichst: Ausgangszustand / entscheidender Moment / Folgezustand sind als distinktes Muster erkennbar für eine Handlung mit bewusst-reflexivem Anteil.
Ich sehe einfach nicht, was damit gewonnen wäre. GK wird für seine Seite reklamieren, dass das sich wiederholende Muster von Kategorie 2 klar erkennen lässt, wie ein freier Willensentscheid sich in den bildgebenden Verfahren reflektiert.
Singer oder Roth können aber ohne weiteres kontern, dass das Muster von Kategorie 2 sich zwar von Muster der Kategorie 1 abhebe, aber das sei kein Wunder, weil bei Kategorie 2 eben die Probanden bewusster entscheiden, aber natürlich deswegen noch lange nicht über Willensfreiheit verfügen.
Aber ich bin nicht ganz sicher, ob meine Ausführungen Deine Frage beantworten, auch weil ein Aspekt dort für mich nicht ganz klar ist: wie kann in einer nicht-dualistischen Welt eine Ebene (mental oder physikalisch) einen (zeitlich oder wie auch immer sonst gearteten) Vorrang haben gegenüber der anderen Ebene („die eine Seite durch die andere festgelegt“)?
Aufgrund eurer Kommentare gewinne ich den Eindruck, dass sich unsere Interessen schon überlappen. Da wir jedoch nicht geklärt haben, wozu wir einen reflektierten Begriff von fW gewinnen wollen, quälen wir uns (zumindest ich mich) durch hierfür uninteressante Textseiten – aufgrund meiner Augenprobleme bin ich hierbei sicher intoleranter als ihr.
Ich denke, hier zeigt sich der Kern der Willensfreiheitsdiskussion: Wie hängen mentale und physikalische Welt bzw. die sie repräsentierenden Beschreibungssysteme zusammen? Hier entfaltet sich die ganze Bandbreite der Positionen zwischen dualistischen und monistischen Ansätzen und aller ihrer Spielarten.
Bei Antonios Anmerkung ist mir nach wir vor unklar, was genau er mit einem „reflektierten Begriff von fW“ meint und wozu das von ihm aufgeworfene „Wozu“ genau dienen soll. In meiner naiven Betrachtungsweise geht es um die oben angerissene Frage, wie die Begriffswelten der mentalen und physikalischen Sphäre zueinander stehen und wie wir zu einer vorzugsweise universellen Beschreibung gelangen, die wir für angemessen halten (das ist die Antwort auf das „Wozu“). Das wir eine Idee haben sollten, was wir mit „frei“ meinen, ist einleuchtend. Aber was brauchen wir darüber hinaus an begrifflichen Klärungen, damit wir uns zu der Kernfrage äußern können? Welche zusätzlichen Kontextinformationen brauchen wir hier? Und wozu?