SEITE: 178/179 Moritz T. 2 Kommentare Kommentar hinzufügen
Stelle:

„Was während der Willensbildung im Maschinenraum der Psyche vor sich geht, mag für die Person oft nur begrenzt transparent sein. Rechtfertigungsbedürftig sind am Ende das Überlegungsergebnis, und die handlungswirksame Entscheidung, nicht die psychologischen Details des faktischen Willensbildungsprozesses.“

Anmerkung:

Die Äusserung erstaunt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, vgl auch p. 169: „Willensfreiheit verstehe ich als ein komplexes humanspezifisches Vermögen, nicht als Attribut einzelner Willensbildungsprozesse.“ GK hat ganz offensichtlich kein Interesse, sich materiell mit der Frage auseinanderzusetzen, wie und wann sich der freie Wille, so es ihn denn gibt, im Bewusstseinsprozess manifestiert. Vielleicht wäre es aber, in einem Buch, das den Titel „Willensfreiheit“ trägt, nicht ganz verkehrt, sich auf diese Ebene zu begeben, weil sich auch Prinzipielles über den Prozess der Willensbildung lernen lässt.

Auf Seite 150 des Buches wird dargestellt, wie eine Person sich zwischen zwei Optionen frei entscheidet. Wie tut sie das? Sie erwägt Option A und Option B, neigt zum Zeitpunkt 1 zur Option A, verschiebt aber den Entscheid auf später. Zum Zeitpunkt 2 entscheidet sie sich für Option B. Wenn ich GK richtig interpretiere, würde er jetzt sagen: Die Person hat sich zwischen Option A und B in einem freien Willensentscheid für Option B und gegen Option A entschieden. – Naiv wird hier unterstellt, dass der Zeitraum zwischen 1 und 2 einfach dafür genutzt wird, die Argumente zwischen A und B rational nochmals abzuwägen. Es gibt aber in der Welt der Psyche kein isoliertes Vernunftabwägen. Wie bei Kahnemann oder Sapolsky zu erfahren wäre, gibt es auch ganz andere Gründe, die zu einem Entscheid B führen können: Zum Beispiel kann ein Mittagessen den Ausschlag für B gegeben haben (Richter entscheiden statistisch gesehen vor dem Mittag anders als nach dem Mittag). GK kann immer noch sagen, dass in einem spezifischen Fall ein Argumentabwägen entscheidend zu Option B geführt hat. Nur wird er nicht behaupten können, dass nicht auch noch andere Faktoren, die der Person nicht zu Bewusstsein gekommen sind, eine Rolle gespielt haben. Damit aber sind die Rahmenbedingungen nicht mehr identisch, unter denen zum Zeitpunkt 1 fast der Entscheid A zustande gekommen wäre und unter denen zum Zeitpunkt 2 der Entscheid B zustande gekommen ist. Es bleibt somit zweifelhaft, ob die von GK intendierte Aussage noch stehen bleiben kann, dass es eine freie Willensentscheidung für B und gegen A gegeben hat. –  Sehr häufig erfindet man Begründungen für einen Entscheid nachher.

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(Dieser Kommentar bezieht sich auch auf die Kommentare für die Seiten 140/144/150/)

Das sind wir erneut bei schon auf 91 und 119 erwähnten Schwierigkeit: GK verfolgt m E. ein ganz anderes Projekt. Wir haben vor einem Entscheid für eine bestimmte Lektüre leider nicht geklärt, was – für uns – der Begriff des fW leisten soll.

bheym

Wie schon bei der Diskussion zu Seite 119: Was braucht es mehr als den Rahmen, dass wir eine Antwort auf die Frage haben wollen, ob es angemessen ist, von einem freien Willen zu sprechen und wie mentale und physikalische Begriffswelten zueinander stehen? Worum könnte es denn sonst noch gehen, wenn es um die Frage geht, was der Begriff des fW leisten soll?

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