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Stelle:

„Beim Libet-Experiment liegt nicht die übliche Verwechslung von synchroner und diachroner Determination vor, die zur Identifikation des physiologischen Korrelats eines mentalen Ereignisses mit dessen Ursache führt.“

Anmerkung:

Dieser Punkt ist nun schon mehrfach angesprochen worden.

Aus meiner Sicht macht es sich GK einfach und bricht die Diskussion an einem Punkt ab, wo sie erst interessant wird. Auf der einen Seite bestreitet er nicht, dass jeder mentaler Vorgang sein physiologisches/neuronales Korrelat habe. Er fragt aber nicht, wie es zu dieser Korrelationsbeziehung kommt und er fragt auch nicht, wie die zeitliche Entwicklung sowohl der physiologischen als auch der mentalen Seite zu sehen ist. Wenn man annimmt, dass die Korrelation nicht bloß zufällig ist, muss ein Zusammenhang zwischen der physiologischen und der mentalen Seite bestehen. Wenn man weiter nach der zeitlichen Entwicklung fragt, dann wird auch GK einräumen, dass diese einer Kausalität (wenn auch einer nicht-deterministischen) folgt. Hier stellt sich nun die Frage: Was ist es, dass die zeitliche Entwicklung zwischen den Korrelaten synchron verlaufen lässt? Haben wir es mit zwei Kausalketten, einer physiologischen und einer mentalen, zu tun, die zufällig synchron verlaufen? Wann das nicht der Fall ist – sie laufen nicht zufällig synchron -, wie hängen die beiden zusammen? Gibt es eine führende, die die andere nach sich zieht? Oder handelt es sich um eine ominöse wechselseitige Beziehung, wo die eine Seite die andere bedingt, ohne dass man sagen könnte, welche Seite die führende ist?

Dieser Diskussion ist GK bisher ausgewichen. Dies ermöglicht ihm, sein Verwechslungs-Argument durchzuziehen.

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Moritz T.

Die beiden Ebenen können in einem monistischen Weltbild gar nicht auseinanderlaufen. Alles, was sich in einer Person / einer Psyche ereignet, weist eine physiologische Signatur auf. Du schreibst, dass ein noch so kleiner Schritt «in der mentalen Welt» eine «Entsprechung in der neuronalen Welt» haben müsste. Ich würde das anders formulieren. Gewisse (wenige!) Vorgänge erreichen den Bereich, den GK als «mentale Welt» bezeichnet, ich würde einfach sagen: das Bewusstsein. Wenn ich nun abwäge, ob ich Tee oder Kaffee trinke, dann ist es nicht so, dass die «mentale Welt» hier in irgendeiner Form den Vorrang hat und Spuren im Neuronennetz hinterlässt. Nein, es ist einfach so, dass das Neuronenfeuer jetzt dauerhaft mein Bewusstsein erreicht. – Wichtig ist im Kontext aber auch, dass das Bewusstsein kein abgeschirmter Bereich ist, er ist durchlässig für alle möglichen, dem Bewusstsein selbst nicht zugänglichen Einflüsse. Um nach der Feuer- jetzt auch noch eine Eismetapher zu verwenden: «Die mentale Welt» ist die Spitze des Eisbergs; ich sehe zwar an der Spitze des Eisbergs, wohin der Eisberg treibt, aber das heisst noch lange nicht, dass die Spitze des Eisbergs den Kurs bestimmt. 

Moritz T.

Was ist ein mentales Ereignis / ein mentaler Vorgang? Wie kommen «Ursache» und «physiologisches Korrelat» zusammen? Ich muss gestehen, dass ich mich schwertue mit der Terminologie, aber auch schlicht mit dem Verständnis der Vorgänge im Gehirn. Ich versuche mich nochmals, an diese Fragen heranzutasten. Vielleicht übersehe ich etwas Grundlegendes dabei, aber im Moment reime ich mir das so zusammen:

Stanislas Dehaene hat im Buch «Denken» «vier zuverlässige Signaturen des Bewusstseins» ausgemacht – «physiologische Kennungen, die anzeigen, ob der Teilnehmer einen Gegenstand bewusst wahrgenommen hat» (p. 229). Dazu unterscheidet er eine ganze Anzahl verschiedener vor- oder unbewusster Zustände, auf physiologischer Ebene.
Dehaene zeigt also, welche Typen von Neuronenaktivitäten erforderlich sind, damit ein Vorgang einer Person zu Bewusstsein gelangt. Metaphorisch gesprochen: es glimmt irgendwo im Gehirn etwas auf, das ist eine physiologische Spur (häufig auch gar nicht von aussen induziert, das Gehirn tendiert dazu, selbst mit Feuer zu spielen), aber dann verglimmt dieses Etwas wieder.
Es könnte zum Beispiel ein Bereitschaftspotential BP sein, die Kaffeemaschine in Gang zu setzen. Eine Stunde später glimmt dieses Etwas erneut auf, aber jetzt kommt es zum Flächenbrand – und dazu, dass ich aufstehe und den Knopf der Kaffeemaschine drücken will. Jetzt ist das Gehirn auf diesen Vorgang fokussiert.  
Ich würde den zitierten Satz so interpretieren: GK anerkennt, dass in den Libet-Experimenten eine diachrone Determination vorliegt. Das (mir nicht bewusste) Bereitschaftspotential führt dazu, dass ich eine bestimmte Aktion bewusst erwäge. Im Gegensatz dazu ist nach GK die synchrone „Determination“ keine Herausforderung für das libertarische Konzept: Es ist kein Argument gegen die Willensfreiheit, dass ein mentales Ereignis synchron eine physiologische Spur generiert (statt synchrone „Determination“ vielleicht doch eher „Entsprechung“?).

Nehmen wir an, dass mir jetzt bewusst wird, dass ich heute bereits drei Tassen Kaffee getrunken habe (diese Information ist latent / im Unterbewusstsein vorhanden, wir haben es also wieder mit einem kleinen Flächenbrand zu tun, der dazu führt, dass sie mir jetzt bewusst wird). Auch hier wieder: diachrone Determination.
Jetzt wäge ich ab: Soll ich vielleicht lieber einen Tee trinken? Ich entscheide mich dann, einen Tee zuzubereiten. Kann man nun sagen, wie GK es hier scheinbar tut, dass dieses «mentale Ereignis» (Entscheid, Tee zu trinke) eine Ursache hat und ein physiologisches Korrelat?
Leider fokussiert Dehaene in «Denken» mehr auf die Differenz Unter/Vorbewusst und Bewusst, und weniger auf komplexere Vorgänge / Abwägungen im Bewusstsein selbst.
Aber ich würde mir vorstellen, dass der Flächenbrand, der dazu führt, dass «ich» aufstehe und den Knopf der Kaffeemaschine drücken «will», sich weiter ausbreitet – das Bewusstsein beschäftigt sich jetzt mit der Frage: Kaffee oder Tee? Man könnte vielleicht (in der Zukunft) sogar nachweisen, wie sich der Entscheid für den Tee im Neuronenfeuer anbahnt. Können wir dann noch von einem «physiologischen Korrelat» reden? Brauche ich dazu eine «Ursache», oder auch nur ein (separates) «mentales Ereignis»? Wenn ich mich für den Tee entscheide, gibt es aus meiner Ansicht nach keine «führende Seite». Der Entscheid wird bewusst gefällt, und synchron dazu gibt es physiologische Spuren im Gehirn. Vermutlich werden während des «bewussten Entscheidungsprozesses» vorbewusst / unterbewusst dauernd weitere kleine Brandherde gelegt, die teilweise zur Ausweitung des Flächenbrandes (im Feld des Bewusstseins führen), teilweise aber im Hintergrund / unbewusst bleiben. (Eine heikle Frage für GK wäre dann, inwieweit eben auch unbewusste kleine Brandherde einen Entscheid beeinflussen.)

Bemerkenswert übrigens, wie entspannt Dehaene die Frage der Willensfreiheit angeht. Für ihn ist autonome Entscheidungsfindung gleichbedeutend mit Willensfreiheit (p. 379). Er hat auch keine Mühe damit, sich eine (vollkommen determinierte) Maschine mit freiem Willen vorzustellen. Er ist wohl, in GKs Terminologie, ein agnostischer Kompatibilist.
Darum kommt Dehaene wohl auch gar nicht auf die Idee, einen freien Willensentscheid mit bildgebenden Verfahren nachweisen zu wollen. Ihm reicht es vollkommen nachweisen zu können, wann ein Vorgang das Bewusstsein erreicht, und wann nicht.

Last edited 5 months ago by Moritz T.
ad.valsan

COOL! Jetzt seid ihr bereits in den feinsten Verästelungen des einen Astes, den ich bei der begrifflichen Klärung von fW unbedingt einbeziehen möchte. Und aufgepasst: sowohl aus phylo- wie aus ontogenetischer Perspektive.

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