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Besprechung für Willensfreiheit

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Besprechung:

Mit „Willensfreiheit“ hat der Philosoph Geert Keil ein Werk vorgelegt, in dem er dieses Dauerthema sehr grundsätzlich aus maßgeblich philosophischer Sicht diskutiert. Zunächst wirft er fundamentale Fragen zum Freiheitverständnis auf, spricht von positiven und negativen Freiheiten und grenzt beispielsweise Handlungs- und Willensfreiheit voneinander ab. Er ordnet klassische Positionen zur Willensfreiheit in einer Vereinbarkeitsmatrix an, aus der hervorgeht, wie es um die Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheit steht. Hier unterscheidet er Kompatbilisten (Freiheit und Determinismus sind vereinbar), Inkompatibilisten (Freiheit und Determinismus schließen sich aus) und Libertariern (die Welt ist indeterministisch und wir sind frei). Er diskutiert die Hauptströmungen ausführlich und zitiert immer wieder klassische Vertreter der Philosophie des Geistes (z.B. Aristoteles, Descartes, Locke, Hume, Laplace, Kant, Wittgenstein).

Recht bald gibt sich Keil als Libertarier zu erkennen, im weiteren Verlauf präzisiert er seine Position weiter, indem er sie als fähigkeitsbasierten und ereigniskausalen Libertarismus charakterisiert. Die Willensfreiheit kommt dabei im Vermögen zum Überlegen und Entscheiden oder, in anderen Worten, als „Fähigkeit zur überlegten und hindernisüberwindenden Willensbildung“ zum Ausdruck. Sie schließt das Anderskönnen in einer gegebenen Situation ein, wird der Zurechenbarkeit zum betreffenden Akteur gerecht und erfüllt grundsätzlich das Kriterium der Intellegibilität. Das Überlegen besteht für Keil aus dem Heranziehen, Bewerten und Abwägen von Gründen, das schließlich in einer Entscheidung mündet. Das Anderskönnen besteht darin, dass man sich in einer gegebenen Situation entweder für eine Option A oder aber fürs Weiterüberlegen entscheiden kann, an dessen Ende dann auch die Entscheidung für Option B stehen kann. Das Weiterüberlegen nimmt eine zentrale Stellung ein. Grund hierfür ist, dass es irrational oder erratisch wäre, wenn ein Akteur aus ein- und denselben Gründen für Option A oder Option B votieren würde (dies würde das Intellegibilitäts- oder Nachvollziehbarkeitskriterium verletzen).

Wichtige Elemente sind für Keil dabei der Indeterminismus als fundamentale Grundbedingung, weil es in einer gegebenen Situation ansonsten keine Auswahlmöglichkeiten und folglich nichts zu entscheiden gäbe, sowie eine nicht-deterministische Ereigniskausalität. Keil hält also am Prinzip fest, dass ein Ereignis B durch ein Ereignis A verursacht sein muss, allerdings auf nicht-deterministische Weise. Keil grenzt sich dabei deutlich von der sogenannten Akteurskausalität ab, die dem Akteur die Rolle des ersten Verursachers einer Entscheidung bzw. einer Handlung zuweist und damit die Entscheidung bzw. Handlung dem Akteur zurechenbar macht. Er argumentiert, eine Ursache als „persistierende Substanz“ (der Akteur) könne das bewirkte Ereignis nicht überdauern; wenn man zudem den Akteur als unbewegten Beweger versteht, seien physikalische Erhaltungssätze damit verletzt. Interessanterweise ist das eine der wenigen Stellen, an denen Keil physikalisch argumentiert (er tut dies auch bei der Zurückweisung des laplaceschen Dämons, der für den universellen Determinismus steht, da dieser aus energetischen und informationstheoretischen Gründen nicht existieren könne).

Ein weiterer wichtiger Baustein in Keils fähigkeitsbasiertem Libertarismus ist seine Auffassung von Naturgesetzen, die er mit einiger Vehemenz vertritt: Diese seien nicht schon in der Welt vorhanden – dies nennt er die universalienrealistische Auffassung -, sondern sie seien gemäß der nominalistischen Auffassung als Generalisierungen des bisher angehäuften empirischen Wissens zu verstehen. Naturwissenschaft deckt also nicht bestehende Gesetze auf (oder nähert sich ihnen an), sondern stellt neue Gesetze auf und modifiziert sie bei Bedarf auf Grundlage neuen empirischen Wissens. Diese Sicht baut ihm die Brücke dahin, dass Naturgesetze nicht vorschreiben, regieren, „darüber gebieten, was geschieht“, sondern lediglich das Universum der Möglichkeiten einschränken, so dass freie Handlungen möglich bleiben: „Naturgesetze haben bloß restringierenden Charakter.“

Das Buch mutiert im Verlauf von einer umfassenden Darstellung zum Thema Willensfreiheit zu einer Verteidigungsschrift für den fähigkeitsbasierten Libertarismus, in der Keil sich manchmal zu suggestiven, selten gar polemischen Formulierungen hinreißen lässt. Dies spitzt sich gegen Ende etwas zu, wenn er auch Neurowissenschaftler zu Wort kommen lässt – hier merkt man schnell, dass es mitunter tiefe Gräben zwischen Philosophie und Neurowissenschaften gibt. Dass die diffizile Thematik anfällig für Missverständnisse macht, ist erwartbar, allerdings gewinnt man gelegentlich den Eindruck, dass die Bereitschaft oder Fähigkeit begrenzt ist, sich ernsthaft auf die jeweils andere Sicht einzulassen.

Die Darstellung von Keil ist grundsätzlich systematisch, stringent und detailreich, einige Passagen sind besonders gut gelungen, wie etwa die Darstellung der viel zitierten Libet-Experimente, wobei durchaus vorhersehbar ist, zu welchem Ergebnis Keil in seiner Diskussion kommt. Darüber hinaus gibt es aber auch Passagen, die Fragen offen lassen und in denen die Formulierungen seltsam unscharf oder sogar kryptisch sind: Beispielsweise heißt es immer wieder, in der Welt gehe „es mit rechten Dingen zu“ – was heißt das genau?; anzunehmen ist, dass etwas in der Art „regelbasiert“ oder „regulär“ gemeint ist, aber sicher nicht deterministisch; oder es wird gesagt, die Kausalkette „geht durch uns hindurch“; oder er spricht etwas vage von „freiheitsgefährdend“. An einer Stelle schreibt er, es sei auch in Ordnung, wenn ein Akteur manchmal eine Entscheidung mit „einfach so“ oder „mir war danach“ begründet.

Bedauerlich ist, dass Keil bis auf die bereits erwähnten Ausnahmen praktisch nicht die physikalische Beschreibungsebene in den Blick nimmt. Es ist zwar häufiger von physischen oder neuronalen Substraten die Rede – was wohl als so etwas wie das Gegenstück eines mentalen Ereignisses in der physikalischen Beschreibungsebene zu verstehen ist -, es wird von physikalischen Energieerhaltungssätzen gesprochen und an einer Stelle wird sogar die Zeitinvarianz von physikalischen Bewegungsgleichungen thematisiert. Es wird aber zu keinem Zeitpunkt in dieser Beschreibungsebene argumentiert und auch nicht wirklich die Frage aufgeworfen, wie die beiden Beschreibungsebenen, die der physikalischen und die der mentalen Welt, im Zusammenhang zu sehen sind. Gerade, was die von Keil vorausgesetzte nicht-deterministische Kausalitätskonzeption anbetrifft, wäre es interessant, wie eine solche sich in der physikalischen Welt ausnimmt. Hier begnügt Keil sich mit dem Hinweis, dass deterministische Kausalität keine Grundvoraussetzung für empirische Wissenschaft sei. Das entfaltete libertarische Modell ist ausschließlich in den Begrifflichkeiten der mentalen Welt verfasst, es wird nicht thematisiert, wie Überlegen, Abwägen, Bewerten, Entscheiden und vor allem das Anderskönnen in Begriffen der Physik oder Neurowissenschaft aussehen könnte – natürlich könnte man hier grundsätzlich einwenden, dass dies auch keine sinnvollen Fragen seien. Dann würde man aber gern den Grund dafür erfahren.

Man mag am Ende den Eindruck haben, dass Keil mit seiner elaborierten Theorie des fähigkeitsbasierten Libertarismus den Gordischen Knoten durchschlagen hat, zumal er zahlreiche Einwände diskutiert und schließlich ausräumt und die Beschreibung des Willensbildungsprozesses durchaus plausibel anmutet. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, irgendetwas verpasst zu haben: Wie hat er es angestellt, die Akteurskausalität zu umgehen, endlos laufende Kausalketten zuzulassen und trotzdem das Anderskönnen zu retten? Wie ist es möglich, den Indeterminusmus einzufordern und gleichzeitig den Einfluss des Zufalls so einzudämmen, dass Entscheidungen nicht als erratisch begriffen werden können? Das Ganze wirkt ein wenig wie ein gewagter Hochseilakt unter herausfordernden Rahmenbedingungen, gewürzt mit ein wenig Magie, so dass man am Ende plötzlich dasteht, wohin man wollte: Wir sind frei und alles geht mit rechten Dingen zu.

Insgesamt wirkt das Buch umfassend, kenntnisreich und gut recherchiert. Die Lektüre ist intensiv und erfordert hohe Konzentration. Dies liegt an den vielen kniffligen Fragen, die die Willensfreiheit tangiert, allerdings auch an der mitunter sperrigen, mit vielen Fremdwörtern durchsetzten Sprache und oftmals langen Sätzen mit mehreren Einschüben. Auch geübte Leser werden nicht umhinkommen, den einen oder anderen Satz oder ganze Absätze mehrfach zu lesen.

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