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Besprechung für Willensfreiheit

Moritz T. Keine Kommentare Kommentar hinzufügen
Besprechung:

Für die meisten von uns dürfte es im Alltag als selbstverständlich gelten, dass wir über einen freien Willen verfügen, und ihn bei einem Entscheid zwischen zwei oder mehreren Optionen einsetzen.

In der Philosophie ist das Konzept der Willensfreiheit aber höchst umstritten, und mit den Befunden aus den Neurowissenschaften in den letzten Jahrzehnten eher noch stärker unter Druck gekommen, auch wenn Geert Keil mit Rückgriffen in die griechische Antike oder in die Aufklärung zeigt, dass die Idee eines freien Willens von jeher Anlass zu Diskussionen gab.

Es ist erfrischend, dass mit Geert Keil ein zünftiger Philosoph antritt, um quasi die Intuition des «gesunden Menschenverstands» mit den Methoden der Philosophie unter Beweis zu stellen. Keil vertritt nämlich die Auffassung, dass wir tatsächlich über einen freien Willen verfügen; er nennt seine Position «libertarisch».

Es handelt sich bei «Willensfreiheit» um eine Einführungstext in der Reihe «Grundthemen Philosophie». Nun merkt man dem Text durchgehend an, dass die libertarische Sicht in der Fachdebatte einen schweren Stand hat; entsprechend angriffig vertritt Keil seine Position. Er ist sich dessen bewusst: «Zugleich gibt sich der Verfasser nicht die Mühe zu verbergen, welche Auffassung er für die richtige hält.» (p. 16, Einleitung).  Die Positionen der Gegner werden zuweilen in polemischer Weise attackiert, beispielsweise diejenige der (harten) Deterministen, die davon ausgehen, dass alles vorbestimmt und der freie Wille eine Illusion ist.

Hilfreich ist, dass Keil gleich zu Beginn die geläufigen Positionen zur Frage des freien Willens in einer Matrix darstellt, auf die man immer wieder zurückgreifen kann. Neben den Libertarieren und den Deterministen stehen die Kompatibilisten im Vordergrund, die kein Problem darin sehen, den freien Willen mit dem Determinismus zu vereinbaren, also die beiden Konzepte für «kompatibel» zu halten.

Es ist sichtlich Keils Ambition, die Position des Libertariers empirisch-wissenschaftlich herzuleiten; von Naturwissenschaftlern, die zum Determinismus neigen, wird den Libertarieren gern mal in abwertender Weise «metaphysisches Denken» vorgeworfen. Keil kehrt den Spiess nun um: Deterministen schliessen aus Naturgesetzen und Kausalitäten auf einen universellen Determinismus. Keil konstatiert zurecht, dass bislang empirisch nicht der Nachweis gelungen ist, dass das Weltgeschehen nach vorbestimmten Mustern abläuft. Schon in Teilbereichen fällt es schwer, genaue Voraussagen zu treffen oder das Resultat eines Ereignisses lückenlos mit Kausalitäten herzuleiten. Kausalitäten überlagern sich im komplexen Geschehen in (für den Wissenschaftler) unvorhersehbarer Weise. Darum kann Keil den Deterministen einen metaphysischen Sprung vorhalten, wenn sie von einem universalen Determinismus ausgehen. Und wenn der Determinismus kein universaler ist, dann ist er keiner, auch das zeigt Keil. Alles mit relativ viel Aufwand. Und er setzt dann dieses Totschlag-Argument immer wieder ein. Natürlich wissen wir damit noch nicht, ob nicht doch alle Abläufe determiniert sind.

Keil ist ein geschickter Debatten-Taktiker; anstatt sich von Argumenten gegen die Libertarier in die Enge treiben zu lassen, weist er gern auf bei den Gegnern unhinterfragte/unbewiesene Vorannahmen hin, und lässt den Angriff damit ins Leere laufen. «Kompatibilisten fordern vom Libertarier eine Erklärung für etwas, was sie selbst nicht erklären können.» (p. 259)

Kühl kontert er auch die Angriffe, die nach den Libet-Experimenten gegen das Konzept des freien Willens erhoben wurde. Libet hatte gezeigt, dass sich im Körper zuerst ein Bereitschaftspotential für eine Bewegung aufbaut, das den Versuchspersonen nicht zu Bewusstsein kommt. Die Bewegung ist also bereits vorbereitet, wenn das Bewusstsein sich damit befasst. – Keil weist darauf hin, dass nur ein cartesianischer Dualist die Erwartung hegen kann, dass der «Geist» am Anfang einer Kausalkette stehen muss. Für sein libertarisches Konzept ist es keine Bedrohung, dass eine Kausalkette einsetzt, bevor sich das Bewusstsein damit befasst. Keil formuliert fast poetisch: «Kausalketten haben generell kein Anfang und kein Ende. Sie laufen durch uns und unsere Handlungen hindurch.»

Es scheint zunächst ebenfalls ein gewiefter Schachzug Keils, sich einer materiellen Auseinandersetzung mit den Manifestationen des freien Willens weitgehend zu entziehen – man gerät leicht in Teufels Küche, wenn man im Detail diskutieren würde, wann und wie sich die Willensfreiheit manifestiert, und wann nicht. Keil definiert die Willensfreiheit etwa wie folgt: «Fähigkeit der überlegten hindernisüberwindenden Willensbildung.» (p. 245). Er begnügt sich damit, diese Fähigkeit als prinzipielle zu konstatieren.

Die mangelnde Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen aus Psychologie oder den Neurowissenschaften holt Keil spätestens dann ein, wenn er versucht, seine libertarische Position positiv zu bestimmen. Keil grenzt sich ab vom akteurskausalen Libertarier, der einfach annimmt, dass eine Person in ein Geschehen eingreift, und so seine Willensfreiheit ausspielt. Aber es ist unklar, woher diese Einflussnahme eines Akteurs plötzlich kommen soll, wenn man nicht doch auf ein dualistisches Weltbild zurückgreifen will – was Keil entschieden nicht will, auch wenn er die Grenze zwischen Monismus und Dualismus in seinen Formulierungen immer wieder mal ritzt (so wenn er «Handlungen» von einem «Verlauf» abgrenzt, als wären Handlungen nicht einfach auch Teil eines Ereignis-Verlaufes).

Wenn nicht akteurskausal, wie geht Willensfreiheit denn sonst? Keil setzt auf die ereigniskausale Karte. Die Willensfreiheit zeigt sich darin, dass eine Person fähig ist, «weiter zu überlegen», in einer Abwägung rationaler Gedanken. Zum Zeitpunkt 1 neigt die Person zu Entscheid A, zum Zeitpunkt 2 entscheidet sie sich aber für B. Das ist der Zauber der Willensfreiheit à la Keil. Aber mir scheint, da verbirgt sich ein bisschen viel Magie dahinter: was sind rationale Gedanken? Wie grenzt Keil sie ab von irrationalen Gedanken? In der Praxis wird es immer so sein, dass sich beide Aspekte durchdringen. Die Annahme, dass zwischen Zeitpunkt 1 und 2 einfach die rationalen Überlegungen weitergetrieben werden und sonst keine Einflüsse zu verzeichnen sind, scheint ebenfalls praxisfern. Kahneman oder Sapolsky zeigen in Studien, dass statistisch gesehen Richter vor dem Mittagessen zu strengeren Urteilen neigen als am Nachmittag. Ein Richter selbst mag der Auffassung sein, dass er sich über Mittag die Sache einfach nochmal gründlich durch den Kopf hat gehen lassen und darum jetzt (anders als am späten Vormittag noch intendiert) zum Freispruch kommt, während in Tat und Wahrheit der Bauch hier den Ausschlag gegeben hat. Mir scheint die Behauptung nicht zulässig, dass der Entscheid für B und gegen A Ausweis einer «hindernisüberwindenden Willensbildung» oder einer Betätigung des freien Willens (à la Keil) ist, weil sich mit der verstrichenen Zeit die Voraussetzungen ändern – und zwar prinzipiell. Entscheid B ist unter anderen (un)bewussten Voraussetzungen zustande gekommen als der Fast-Entscheid für A.

Gegen Ende gesteht Keil zu, dass die libertarische Position unter bestimmten Gesichtspunkten durchaus eine prekäre ist, aber er verweist darauf, dass die anderen Positionen mit noch grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Das Buch ist mindestens in Teilen cum studio et ira geschrieben; es scheint häufig vor allem darum zu gehen zu zeigen, in welcher Beziehung die anderen Positionen gegenüber dem Libertarismus unterlegen sind. Sehr viele Fachkollegen Keils neigen dem Kompatibilismus zu. Folgt man der Darstellung Keils, gibt es für diese Position aber  (fast) keine plausiblen Gründe. Das lässt einen etwas ratlos zurück; die Rigorosität scheint für einen Einführungstext nicht adäquat.

Beeindruckend ist aber in jedem Fall, wie Keil die diversen Aspekte des Themas zusammenhält und auf kompakten 300 Seiten seine Argumentation entfaltet. Es ist für den Nicht-Spezialisten nicht immer ganz einfach, den Darstellungen zu folgen, aber dies ist weniger Keils (mangelnden) Schreibkünsten als der Komplexität der Materie geschuldet. Keils Buch bietet viel Stoff, um die Debatte um die Willensfreiheit weiter voranzutreiben, und das ist verdienstvoll.

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