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Besprechung für Elizabeth Finch

Moritz T. Keine Kommentare
Besprechung:

Wir erfahren in diesem Buch recht wenig über den Ich-Erzähler. Schauspieler, zweimal geschieden, Kinder – aber die Familie spielt überhaupt keine Rolle, und auch der Beruf nicht.

Neil, immerhin wissen wir seinen Namen, studiert an der Abend-Uni, ist nicht mehr ganz jung. Er gerät in den Bann einer Dozentin, Elizabeth Finch, die die Studenten auf ihre spröde Art zum Selber-Denken bringt, mit geschickten, offenen Fragen. Sie hält sich sehr bedeckt, was ihr Privatleben anbelangt, was Neil und seine Kommilitonen zu allerlei Spekulationen und Projektionen veranlasst.

In Neils Schwärmerei für Elizabeth gibt es zwar erotische Untertöne, aber die Anziehung ist vor allem eine intellektuelle. Sie erscheint Neil als der «erwachsenste» Mensch, der er kennt. Ihre Positionen in politischen oder kulturellen Fragen scheinen eigenständig, durchdacht und historisch gut fundiert zu sein.

Neil bleibt mit Elizabeth auch nach dem Studium in Kontakt, er trifft sie regelmässig in grossen Abständen zum Mittagessen, das immer in der gleichen Form abläuft. Weiterhin gewährt sie Neil keinen Einblick in ihr Privatleben; sie fungiert ein wenig als Ratgeber für Fragen, die Neil umtreiben. Manchmal gleichen die Ratschläge Orakelsprüchen.

Als Elizabeth stirbt, lernt Neil ihren ganz anders gearteten, leutseligen Bruder kennen. Er teilt ihm mit, dass Elizabeth Neil ihre Notizhefte und die Bibliothek vermacht hat. Neil vertieft sich in die Papiere und entdeckt bald, dass sie sich intensiv mit Julian, dem letzten nicht-christlichen römischen Kaiser befasst hat. Er verfasst einen Essay zu dieser historischen Figur, quasi in ihrem Auftrag, der dann rund einen Viertel des gesamten Buches einnimmt.

Julian ist durchaus eine interessante Figur. Er begegnet den Christen mit Milde, was die offensichtlich auf Märtyrertum sinnenden Jesus-Anhänger irritiert, und gilt als Philosophen-König, der bewusst polytheistisch lebt (und eine Unmenge von Opfertieren schlachten lässt). Der Essay, im Wesentlichen eine Rezeptionsgeschichte der (angeblichen) Äusserungen Julians, weist manche Längen auf und lässt den Leser etwas ratlos zurück.

Neil kann auch nach der Fertigstellung des Essays nicht von Elizabeth lassen, er nimmt Kontakt auf zu anderen ehemaligen Studenten, die das Bild von Elizabeth um die eine oder andere Facette ergänzen. Insbesondere ihr Liebesleben, so sie denn eines hatte, bleibt aber im Dunklen.

Neil gibt uns Kostproben von Elizabeths Notizen, die sich zum Beispiel darum drehen, wie sie gegen aussen wirkt, als alleinstehende, kinderlose Frau. Sie setzt sich auch mit nationalistischen oder antisemitischen Tendenzen auseinander. In gewisser Weise lassen sich einige ihrer Positionen auf Julian (oder das, was legendenmässig von ihm überliefert ist) beziehen. Daraus resultieren teilweise originelle Ansätze. Vieles klingt aber einfach vernünftig, und auch ein wenig langweilig und politisch korrekt.

Der Autor kann oder will sich nicht entscheiden: man könnte sich eine scharfsinnige  Auseinandersetzung mit Julians Philosophie vorstellen und was sie für die Gegenwart bedeutet; oder wie sich das Vorbild Elizabeth auf das Leben Neils, auf seine Beziehungen zu (Ex-) Frauen und Kinder auswirkt; oder eine Rekonstruktion von Elizabeths Leben. Von allem liefert der Autor ein wenig, nichts so ganz, der Leser kann die Ansätze selbst weiterdenken. Vermutlich entspricht das ganz dem pädagogischen Grundgedanken von Elizabeth Finch.

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