SEITE: 943 - 986 Moritz T. Keine Kommentare
Stelle:

Kapitel VI., 9. Die Entfesselung der Gewalt

Anmerkung:

Das „Oktobermanifest“ mit Konzessionen an die Aufständischen, das der Zar äusserst widerwillig unterzeichnet hatte, brachte keine Beruhigung der revolutionären Situation. Im Gegenteil, die Gewalt griff 1905/06 weiter um sich, der Respekt vor den Autoritäten erodierte, bis hin zu Soldaten, die die Offiziere nicht mehr beachteten oder sie gar verprügelten.

Eine chaotische, unübersichtliche Situation, in vielen Teilen des riesigen Reiches. Baberowski bleibt wie stets quellennah und berichtet ausführlich von  den Gewaltexzessen. Welche Parteien und Gruppierungen waren aktiv? Eine kleine, nicht abschliessende Auslegeordnung

– Die Bolschewiki, die mindestens teilweise ungehemmt auf Terror setzten

– Die Menschewiki, die ebenfalls die Revolution anstrebten

– Anarchisten (kein wichtiger Faktor)

– Arbeiter, häufig mit den Revolutionären sympathisierend

– Die Liberalen, die grundsätzlich zur Opposition gehörten und die Autokratie stürzen wollten, die sich aber teilweise von der Gewalt zu distanzieren begannen, weil sie begriffen, dass der Strudel sie selbst mit fortreissen könnte

– Akademiker, Berufsverbände mit wachsendem Einfluss. Liberal bis revolutionär gesinnt.

– Die Anhänger des Zaren (und der Zar selbst), die die Autokratie verteidigen wollten, aber weder ideologisch noch strategisch die Initiative ergriffen. Reaktionäre im Wortsinn. Der Adel kaum ein Faktor.

– Die Pragmatiker in der Regierung rund um Witte, der einen Weg aus der Krise sucht, und den Zaren vor die Alternative stellt: Konzessionen (in Richtung Parlament und Verfassung), oder Diktatur.

– Die Ordnungskräfte des Regimes, Polizisten, Soldaten, Kosaken. Eher passiv, in einer Opferrolle, dann aber zu Gewaltexzessen neigend, oder sich mit dem rechten Mob solidarisierend, Polizisten teilweise an Übergriffen gegen Juden beteiligt. Soldaten teilweise auch revolutionär oder mindestens anti-autoritär gesinnt. Die Offiziere offenbar kein nennenswerter Faktor.

– Die Schwarze Hundertschaften, monarchistisch-nationalistisch gesinnte Gruppierung, die Gewalt und Terror gegen die Revolutionäre, Studenten, oder Juden ausübten. Die ideologischen Hintergründe werden hier nur knapp erläutert.

– Bauern, die teilweise ohne ideologische Anbindung an die Revolutionäre sich an Gutsherren und deren Besitz vergriffen, sich aber auch an Pogromen gegen die Juden beteiligten. Viele Bauern waren zarentreu, aber in Opposition zu Bürokratie und Regierung.

– „Hooligans“,  gewalttätige Banden, wohl eher unparteiisch, aber eher auf Seiten der Rechtsextremen zu finden.

– Kriminelle, die das Chaos für sich zu nutzen wussten.

– Die Juden waren Opfer von Gewalt und Terror eines anti-revolutionären oder schlicht gewaltversessenen Mobs; vereinzelt organisiert in Selbstverteidigungsgruppen.

 

Subscribe
Notify of
0 Kommentare
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments

Abonnieren Sie den «Buch im Fokus» - Newsletter

0
Would love your thoughts, please comment.x
()
x